Da liegen vom letzten Weihnachtsfest noch Kinogutscheine in der Schublade, für die sich Sohn oder Tochter, Mutter oder Vater zwar brav bedankt, aber so schnell nun auch wieder keine Verwendung gefunden haben? Wunderbar! Raus damit ans Licht und ab ins Dunkel! Und am besten gemeinsam! Denn im gern fürs Separieren gescholtenen Arthouse hat es in letzter Zeit keinen schöneren Film gegeben, der sich dafür eignen würde.
Die Belgier also wieder! Bouli Lanners, dieser grundsympathische Bart-Bär in der nächsten Hauptrolle, mit der er Freude schenkt, Bewunderung und Hingabe erntet. Daß es nicht immer so sein muß, beweist ein weiteres Werk mit ihm. Doch darüber wird erst im Mai zu reden sein. Bei ALLE KATZEN SIND GRAU gibt es zunächst so gut wie keine Einwände.
Es sind noch keine fünf Minuten vorbei, da ist das Setting gerichtet: ein wilder Tanz in Zeitlupe, eine Familie mit Geheimnis, zwei Teenager, die mit dem Rad wegdüsen, ein Mann mit Fotoapparat, versteckt im parkenden Auto. Dorothy, das eine 15jährige Mädchen, weiß nichts von ihrem echten Vater, Paul weiß, daß sie seine Tochter ist. Der Privatdetektiv arbeitet gewissermaßen in eigenem Auftrag, wenn er ihr nachstellt. Am Skaterpark, wo Dorothy und ihre beste Freundin Claire etwas mit Jungs probieren, fliegt die Sache erst mal auf: Paul wird von den Jugendlichen gestellt und als Pädophiler beschimpft. Zum Glück hat er eine Visitenkarte dabei. Durchatmen!
Die Visitenkarte wird es sein, die die Sache ins Rollen bringt. Denn als Claire und Dorothy an Pauls Haus klingeln, kommen die Dinge voran, schieben sich Kugeln vom Gestern ins Heute. Angeödet von Mutters ewigem Ignorieren jeglicher Fragen nach ihrem Erzeuger, machen Dorothy und Claire gemeinsame Sache für die Wahrheit. „Weißt Du, warum Menschen verschwinden?“, ist eine heikle Frage an Paul. Sein Satz „Die Art, wie Ihr Teenager Eure Achseln zuckt, geht mir auf die Nerven“, ist Zeichen von Pauls Verlegenheit. Er ist verdammt dazu, aus dieser Nummer herauszukommen, die selbst eingebrockte Suppe auszulöffeln, den Vater einer 15jährigen zu suchen, der er selbst sein soll, aber noch nie durfte.
Natürlich werden wir an dieser Stelle aufhören, weitere Handlungsteile zu verraten. Denn Regisseurin Savina Dellicour gelingt mit ihrem Debüt eine erstaunlich sichere Balance nicht nur zwischen dramatischen und humorvollen Tönen, Sensibilität und dem präzisen Blick auf zwei Generationen, sondern auch zwischen fast beiläufigen Wendungen und Verschiebungen. Die haben für die Figuren enorme Auswirkungen und versetzen den Zuschauer in latent wache Spannung. So sehr, daß er sich wohl wünscht, es möge zwischen diesen Menschen dort in der Kleinstadt nicht gar zu sehr krachen. Keinem soll Böses widerfahren, alle mögen ihre Ruhe finden: Paul mit seinem guten Mut, Dorothy mit ihrem zerzausten Herz, Mutter Christine mit ihrem Hadern über einen schweren Aussetzer vor 16 Jahren.
ALLE KATZEN SIND GRAU verknüpft mit leichter Hand Coming-of-Age-Dramatisches und die manchmal schweren Nöte der Eltern. Er schafft es durch die harmonische Besetzung weniger Charaktere, den Ausschluß von Lapidarien zum Zwecke des Ausschmückens und am Ende durch ein, zwei Fragen, die zu stellen erlaubt sind.
Weil: Die Antworten können daheim erörtert werden, bevor Sohn oder Tochter, Mutter oder Vater beschließen, das mit den Kinogutscheinen demnächst zu wiederholen.
Originaltitel: TOUT LES CHATS SONT GRIS
Belgien 2015, 85 min
FSK 12
Verleih: Film Kino Text
Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden
Darsteller: Manon Capelle, Anne Coesens, Danièle Denie, Bouli Lanners
Regie: Savina Dellicour
Kinostart: 31.03.16
[ Andreas Körner ]