Das Leben ist in Farbe, aber Schwarzweiß ist realistischer. Sagt Regisseur Samuel Fuller in Wim Wenders’ STAND DER DINGE (1982). Ein ja nicht unbekannter, das Paradoxon der Wirksamkeit von Kunst lakonisch treffender Satz, an den sich das Kino inzwischen aber bis auf Ausnahmen leider viel zu selten erinnert. ALOIS NEBEL nun ist so eine Ausnahme.
In seiner Einsamkeit eingerichtet hat sich dieser Alois. Als Eisenbahner arbeitet er Ende der 80er Jahre auf einem kleinen Bahnhof im Jesenik-Gebirge, irgendwo an der tschechisch-polnischen Grenze. Still ist dieser Mann. Still und unscheinbar wie sein Leben. Welchem Alois auch mit seinem Vertiefen in alte Fahrpläne Halt gibt. Die Illusion von Verläßlichkeit, Struktur ist bitter nötig, denn mit den Nebeln, die hier oft schwer aus den Wäldern und Schluchten aufsteigen, steigen auch die Gespenster der Vergangenheit herauf. Schatten jener Erinnerungen, die verwoben sind mit den Bitternissen der Geschichte, die auch auf der als Sudetenland bekannten Heimat Alois’ schwer lasten. Als die 89er Ereignisse des Umbruchs auch diese entlegene Region erreichen, gewinnen die Gespenster der Vergangenheit die Übermacht. Alois’ Leben gerät seelisch und existenziell aus den Fugen.
Drama, Thriller, Geschichtslektion. Was ALOIS NEBEL erzählt, hätte man gut und gern „lebensecht“, also in Farbe und mit Schauspielern, inszenieren können. Aber Regisseur Tomás Lunák entschied sich dagegen und schuf seinen Film im Rotoskopie-Verfahren, eine Form der Animation, bei der zuvor mit Darstellern aufgenommene Szenen Einzelbild für Einzelbild auf Mattglas projiziert und ähnlich wie beim Durchpausen abgezeichnet werden. Was dabei visuell entsteht, ist eine Komprimierung an Realismus durch Verfremdung. Etwas, das Nähe und Distanz zugleich in sich birgt.
Für ALOIS NEBEL paßt das nun nicht nur deshalb so gut, weil die Anmutung jener Graphic Novel, auf welcher der Film basiert, auf die Leinwand transferiert werden konnte, sondern auch, weil in dieser Form die Geschichte eine ganz besondere Atmosphäre bekommt. Eine eigene Realität, die von Leben, Historie, Verbrechen, Sühne und Liebe spricht. Und mögen dabei auch manche Erzählstränge etwas ungeschickt gesponnen und verknüpft sein, zeigt ALOIS NEBEL dennoch, wie gut das aufgehen kann, in Schwarzweiß und Verfremdung vom Leben und der Wirklichkeit zu erzählen.
D/Tschechien 2012, 84 min
FSK 12
Verleih: Pallas
Genre: Animation, Drama, Comicverfilmung
Darsteller: Miroslav Krobot, Marie Ludvikova, Karel Roden
Regie: Tomáš Luňák
Kinostart: 12.12.13
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.