Originaltitel: AND THEN WE DANCED
Georgien/S 2019, 106 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Drama, Liebe, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Levan Gelbakhiani, Bachi Valishvili, Ana Javakishvili, Giorgi Tsereteli, Tamar Bukhnikashvili
Regie: Levan Akin
Kinostart: 23.07.20
In der Umkleidekabine dreht das Testosteron durch, Altherrenwitze werden zum besten gegeben, man stachelt sich gegenseitig auf. Wohl logisch, wenn Halbstarke Haufen bilden, noch weniger verwunderlich, schrillen ihnen ständig Männlichkeitsparolen ins Ohr. Zum Beispiel, daß georgischer Tanz keinen Platz für Schwäche kenne, weil er ein „Schrei unserer Gene“ sei.
Welcher dann gellend jede Individualität überdeckt, es geht stur darum, einen vakanten Platz im Hauptensemble zu ergattern, Tänzer Zaza mußte ihn räumen, er hatte Sex mit einem Mann, steht heute am Zirkus, verkauft den „sündigen“ Leib. Jetzt macht sich Merab einige Hoffnung auf den Karrieresprung – ebenso wie Irakli. Die beiden Rivalen umkreisen einander mißtrauisch, doch knistert bald eine Spannung in der Luft, deren Ursprung nicht im Konkurrieren liegt.
Klingt nach x-ter Coming-Of-Age-und-Coming-Out-Story, ragt aber weit, streckenweise sogar meisterlich, darüber hinaus, malt zunächst in aller Ruhe ein düsteres Gesellschaftsbild. Globalisierung scheint hier unbekannt, unerwünscht, Abschottung steckt kleine und große Rahmen, beengtes Vegetieren, die Nachbarin beobachtet Merabs Familie genau, diesen Mehrgenerationen-Mikrokosmos, von mitgebrachten Essensresten zehrend, den krummen Geschäften von Bruder David vertrauend. So energisch sich die Regie bemüht, Farbtupfer zu entdecken, meist bloß Wäsche auf der Leine: Lebensfreude spürt keiner, wer jung ist, träumt vom Weggehen, auch Merab. Bis Irakli auftaucht.
Und plötzlich schleicht etwas bislang gänzlich Unbekanntes auf Merabs unentwegt ernstes Gesicht: ein Lächeln! Später ein breites Grinsen! Er springt Treppen hoch, hüpft Straßen entlang, läßt verstohlenes Hinterherschauen zu offen begehrlichen Blicken wachsen. Was verliebte Jungs halt tun, wird immer authentisch inszeniert, Perspektiven dehnen sich, ihnen folgen Kamerawinkel, Pulse rasen. Endlich die körperliche Näherung, leidenschaftlich, pur und unverstellt, ohne rosa bebrillt blinkenden Kitsch; stets schwingt Verzehrendes mit, die verdrängte Unmöglichkeit, der geahnte Bruch.
Daß er viel zu früh kommt, gebieten die Umstände. Und geben den Weg frei für ein auf längere Zeit erinnerungswürdiges Finale in blutroter Selbstbestimmung, flankiert von ekstatischem Trommelwirbel, verkrustet-reaktionärer Wut, unaufhaltbaren Tränen. Eine Tür schließt sich. Sie öffnet andere.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...