„Ich kenne einen Kinderreim.“ Wie ein Mantra wiederholt der Ich-Erzähler Dani diesen Satz und verbindet damit die vielen Episoden des Films. Schnell wächst man aus seinen Kinderschuhen heraus, noch schneller vielleicht, wenn das Land dieser Kindheit auf einmal verschwunden ist, ohne seine Versprechen eingelöst zu haben. Und was da kommt, ist noch nicht in Sichtweite, muß jedenfalls irgendwo außerhalb von Leipzig sein. Da kommen Dani, Rico, Mark und ihre Gang nicht hin, der Jugendknast liegt ihnen näher. Und sie wollen auch gar nicht raus aus ihrer Leipziger Jugend, die sich wie ein endloser Moment brutal und verlockend zugleich vor ihnen ausdehnt. Doch auch die Jugend hat sich schnell überholt. Die 90er sind tragisch passé. Vergangenheit, Zukunft und Freundschaft liegen in Scherben. Und wie lange kann man diesen magischen Moment noch heraufbeschwören?
Andreas Dresen hat sich also tatsächlich an Clemens Meyers wild wuchernden Roman gewagt, gemeinsam mit Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Sie haben seine Grundstimmung erfaßt und das Werk filmisch gebändigt, dafür gebührt ihnen Respekt. Davon abgesehen: Mantrahaft wurde auf der Berlinale das Drei-Generationen-Dreamteam Kohlhaase-Dresen-Meyer heraufbeschworen, und daß Dresen nun einen richtig gewaltigen, rauhen und ungeschminkten Film gemacht hat. Nun ja, natürlich krachen da Autoscheiben, und prügeln Nazis drauflos. Und doch fühlen sich gerade diese wuchtigen Stellen ein wenig aufgemotzt an. Viel getuned wird mit flackerndem Licht in den Szenen im illegalen Techno-Club „Eastside“, dem eigentlichen Kern der Jugendmelancholie. Viel Fahrtwind flattert in den Haaren grölender Jugendlicher, die in geknackten Autos durch eine düstere Geisterstadt preschen.
Die an Stichworte lose angelehnten Erinnerungen an die DDR-Kindheit münden in die gewohnte DDR-Putzigkeit. Die deutliche Botschaft: Eigentlich waren die Erwachsenen schon damals nicht da. „Ich glaube, wir haben nicht alle Eure Fragen beantwortet“, bereut eine Lehrerin später. Dieser historischen Rückversicherung hätte es nicht bedurft.
Am stärksten ist ALS WIR TRÄUMTEN in seinen leisen Momenten, in der Erzeugung einer Stimmung, die von Verlorenheit und Ziellosigkeit spricht. Und von Zärtlichkeiten unter Freunden. Da ist die junge Schauspielgarde, die Dresen hier aufstellt, wirklich ganz groß.
D/F 2014, 117 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Historie, Erwachsenwerden, Drama
Darsteller: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Joel Basman, Ruby O. Fee
Regie: Andreas Dresen
Kinostart: 26.02.15
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...