Gerade jetzt, Robert Thalheims neuer Film kommt in die Kinos, ist von polnischer Seite zu vernehmen, man solle - um jede Verwechslung auszuklammern - Auschwitz-Birkenau, vormals KZ und Vernichtungslager, heute Gedenkstätte, umbenennen. Die europäischen Nachbarn drängen auf eine Abgrenzung zu den Greueltaten der Deutschen, und Thalheims Film ist nah dran an dem Thema. Der Regisseur, selbst mit Fragmenten seiner Biographie in der Handlung vertreten, schickt den 19jährigen, unbedarften Protagonisten Sven nach Polen. Auf dem Plan stand eigentlich der Zivildienst in einem Amsterdamer Jugendzentrum. Stattdessen aber landet Sven in der Gedenkstätte Auschwitz, wo er sich vornehmlich um einen Überlebenden des ehemaligen Konzentrationslagers kümmern soll.
Schon zu Beginn deutet eine wacklige Handkamera auf die Beunruhigung der Hauptfigur hin. Sven versteht weder die polnische Sprache, noch kann er den malerischen Charakter des Städtchens mit der Vergangenheit zusammenbringen. Ein Großteil der Handlung nämlich ist nicht in der Gedenkstätte angesiedelt, sondern in der polnischen Kleinstadt Oswiecim, die unfreiwillig im Schatten der Vergangenheit lebt.
Zudem ist der deutsche Zivi für die gleichaltrigen Polen nur ein junger "Fritz" (aufgrund seiner mangelnden Verständigungsmöglichkeit nur die Vorhut einer erneut einmarschierenden deutschen "Civil Army") und Krzeminski, der ihm anvertraute alte Mann, verständigt sich mit ihm nur in einer knappen Kommandosprache. Als Sven schließlich aufbegehrt, weist ihn sein Vorgesetzter zurecht, spricht von einem "sensiblen Ort" und bemüht hiermit eine sprachliche Wendung, deren Trefflichkeit Sven irgendwann in Frage stellen wird. Bis dahin allerdings ist es weit, und zunächst wird sich Sven verlieben und ein Leben kennenlernen, das nicht von der Vergangenheit dominiert ist É
Thalheim inszeniert nüchtern und mit einem Blick für das Wesentliche im Alltag eines jungen Mannes, der auf der Suche nach seinem weiteren Weg ist. Die Kamera, sehr nah in der Beobachtung, findet kühle, fast blaß wirkende Bilder und nahezu zynisch sind die Dialoge - überwiegend Ausdruck von Kommunikationsschwierigkeiten, Vorurteilen und Hilflosigkeit. An der Seite des jungen Alexander Fehling beeindruckt Ryszard Ronczewski als Krzeminski in der Rolle eines Gefangenen der Vergangenheit.
D 2006, 85 min
FSK 0
Verleih: X Verleih
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Alexander Fehling, Ryszard Ronczewski
Regie: Robert Thalheim
Kinostart: 16.08.07
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.