Idyllen sind trügerisch, das ist altbekannt, und doch ist die Sehnsucht nach ihnen tief in der menschlichen Natur verankert. Das Leben von Seymour Levov, genannt „Der Schwede“, gleicht einem solchen Idyll: Der ehemalige Sportchampion hat von seinem Vater eine gutgehende Handschuhfabrik in Newark geerbt. Zusammen mit seiner Frau Dawn, einstige „Miss New Jersey“, und Tochter Merry hat er sich im nahegelegenen, ländlichen Old Rimrock ein stattliches „Home Sweet Home“ eingerichtet. Es ist Nachkriegszeit, doch die USA strotzen vor Selbstbewußtsein und Zukunftsoptimismus. Alles ist perfekt, doch dann kommen die 60er Jahre und mit ihnen der Vietnamkrieg, die Studentenrevolten, der Kampf der schwarzen Bevölkerung um ihre Bürgerrechte. Des Traumpaares Töchterchen, dessen einziger Makel ihr hartnäckiges Stottern ist, wird erwachsen und wendet sich radikal gegen die Welt ihrer Eltern. Mit einer selbstgebauten Bombe sprengt Merry nicht nur das Postamt, sondern auch das elterliche Idyll in die Luft. Den Tod eines Menschen nimmt sie dabei billigend in Kauf.
AMERIKANISCHES IDYLL ist die grandiose Verfilmung des gleichnamigen Romans von Philip Roth. Hauptdarsteller Ewan McGregor nahm zum ersten Mal auch im Regiestuhl Platz. Der Film bleibt sehr nah an Roths Werk, das zweifellos zu seinen besten gehört. Das Drehbuch vollbringt das Kunststück, die stark mäandernde Handlung des Romans zu verdichten und gleichzeitig die Essenz des Buches ohne Abstriche auf die Leinwand zu bringen. Solch’ gelungene Literaturverfilmungen sind wahrhaft selten.
Schonungslos wird der amerikanische Traum seziert, der sich ohnehin als Alptraum entpuppt. Das Auseinanderbrechen der Familie Levov steht stellvertretend für die bis heute unüberwundenen Gräben der amerikanischen Gesellschaft. Diesen Zeitbezug betont McGregor durch wohldosiert im Handlungsverlauf eingestreute Archivaufnahmen. McGregor meistert seinen doppelten Job als Regisseur und Hauptdarsteller ausgezeichnet. Er spielt diesen Schweden als herzensguten, einfachen und aufrechten Menschen, der eingebettet ist in seine Welt. Es macht ihn fassungslos, daß er für seine geliebte Tochter und deren Freunde die Verkörperung des weißen, patriarchalischen, bigotten Amerikas ist und damit zur Zielscheibe wird. Die Erklärung von Merrys Psychologin, das Stottern seiner Tochter sei eine Reaktion auf die unerreichbare Perfektion ihrer Eltern, hält er schlicht für Blödsinn. Dabei ist Seymour Levov keineswegs dumm oder einfältig, doch seine Geradlinigkeit unterscheidet ihn von den meisten anderen Menschen. Das macht ihn eindeutig zum Sympathieträger des Films. Seine Tochter und deren Freunde dagegen, die meinen, für „das Gute“ zu kämpfen, verhalten sich ihren Mitmenschen gegenüber wie Arschlöcher. Ihr Vater zerbricht an der Frage, was er nur falsch gemacht hat mit seiner Tochter, für die er doch stets nur das Beste wollte. Diese Tochter, die ihm so vollkommen fremd wird, und die er doch nicht aufhören kann zu lieben.
AMERIKANISCHES IDYLL ist eine an die Nieren gehende Tragödie über den Verlust der familiären und gesellschaftlichen Illusionen. Exzellent gefilmt und mit allesamt hervorragenden Darstellern. Durch diesen Film erfährt man wahrscheinlich weit mehr über die amerikanische Gesellschaft, als in hunderten Analysen des kürzlich abgelaufenen Präsidentschaftswahlkampfes.
Originaltitel: AMERICAN PASTORAL
USA 2016, 102 min
FSK 12
Verleih: Splendid
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Ewan McGregor, Jennifer Connelly, Dakota Fanning
Regie: Ewan McGregor
Kinostart: 17.11.16
[ Dörthe Gromes ]