Wer da schießt und wessen Schreie man hört, ist zunächst nicht klar, denn das Chaos hat schon vor den Filmbildern begonnen. Zwei junge Männer auf der Flucht, der Rücksitz besudelt mit dem Blut eines Hundes. Und dann kracht es. Aus der vernichtenden Wucht eines Autounfalls entsteht wie durch ein Wunder Leben - das Leben der Figuren dieses Films, deren Wege hier zusammenlaufen, um sich dann unter der Hand des Dirigenten Iñárrítu nach einem komplexen Domino-System in Vor- und Rückblenden aufzufächern.
Octavio, der Fahrer des Wagens, eröffnet den Reigen. Um der Liebe zu seiner Schwägerin finanziellen Rückhalt zu verschaffen, ent-schließt er sich, den Hund seines Bruders in bestialischen Beißereien mit Artgenossen um Geld kämpfen zu lassen. Auch der Auftragskiller El Chivo kämpft für eine Liebe. Vor Jahren verließ er seine Familie und versucht nun ängstlich, seiner inzwischen erwachsenen Tochter näher zu kommen.
Von beiden Episoden gerahmt und seltsam autonom ist die Geschichte des Fotomodells Valeria, und sie verdient besondere Beachtung. Im Gegensatz zum kleinteilig-wüsten Universum der Männer wagt sich die Kamera hier aus den Bodengefechten in scheinbar sauerstoffreichere Gefilde. Über den Fernseher taucht man in ihre Seifenoper-Welt ein, die so lange reinlich bleibt, bis die zerstörerische Macht des Unfalls sie erreicht. Valeria verliert ein Bein, und ihr Schoßhündchen verschwindet unter dem Parkettboden der neuen Wohnung. Solche Grausamkeit an der Grenze zum Lächerlichen erinnert unwillkürlich an Buñuel und die einbeinige Catherine Deneuve in TRISTANA.
Was Iñárrítus disparate Filmwelt dennoch zusammenhält, sind die Hunde. Bissig, ängstlich, unbeherrscht, gequält, geliebt oder abgerichtet bilden sie den erzählerischen und metaphorischen Klebstoff des Triptychons. Ein ungeheures Regiedebüt, eine Kinoexplosion aus Gewalt und Traurigkeit, eine Hymne auf die Mega-Stadt Mexiko City und ihre befleckte Seele.
Originaltitel: AMORES PERROS
Mexiko 2000, 153 min
Verleih: X Verleih
Genre: Drama
Darsteller: Emilio Echevarría, Goya Toledo, Gael García Bernal
Regie: Alejandro González Iñárrítu
Kinostart: 01.11.01
[ Sylvia Görke ]