Originaltitel: ANGEL

F/GB/Belgien 2007, 120 min
Verleih: Concorde

Genre: Drama, Literaturverfilmung, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Romola Garai, Sam Neill, Charlotte Rampling

Regie: François Ozon

Kinostart: 09.08.07

7 Bewertungen

Angel

Ein Leben als Groschenroman

Hüpfende Violinen, tanzende Schneeflöckchen, dann ein schwungvoll galoppierendes Orchester - die Richtung ist von Beginn an klar: François Ozon rollt den Teppich aus für die ganz großen Gefühle, das Überbordende, das Leichte im Schweren, das Triviale im Tiefsinn - ein waschechter Verehrer eines Douglas Sirk also. Eine Etikette, die der Franzose sich durchaus selbstbewußt ans Revers heften darf - immerhin war Sirk ein begnadeter Handwerker und versierter Romantiker, ganz ohne Angst vor Kitsch. Und auch wenn Ozons Geschichte auf der Schwelle des 19. zum 20. Jahrhunderts angesiedelt ist, konnte man schon im Vorfeld davon ausgehen, daß diese Schicksalsoper in keinem Moment zum muffigen Kostümschinken geraten würde. Vielmehr entpuppt sich Ozon als begnadeter Pianist auf der Gefühlsklaviatur und - ähnlich dem Kollegen Almodóvar - mausert er sich vom einstigen Bürgerschreck zum großen Leinwandromancier.

Seine Heldin heißt Angel Deverell, allein der Namensklang läßt die Hochgeburt vermuten. Doch weit gefehlt, denn Angel stammt aus ganz einfachen Verhältnissen. Um so stärker ist die junge Maid von echtem Ehrgeiz getrieben, schreiben wird sie, für den bedingungslosen Erfolg natürlich. Ein gutes Leben will sie auch, und so steht sie - wie knapp 70 Jahre später Gerhard Schröder am Bonner Kanzleramt - vor dem Paradise House, einem schloßähnlichen Anwesen, das schmiedeeiserne Tor fest in den Händen, den starken Willen im Herzen: Ich will da rein!

Das soll auch klappen, denn das forsche und dabei ziemlich hochnäsige Mädchen entzückt einen Verleger - mit ihrem Buch "Lady Irania", mit ihrer Sturheit, mit ihrer Jugend. Schon ihr erstes Werk wird ein Verkaufsschlager, weitere folgen in Serie. Sie empfindet sich als Literatin von Gottes Gnaden, ihre erfolgreichsten Bücher heißen dennoch "Schmetterlinge sterben nie" und "Herzen in Venedig." Angel wird die Königin des Boulevards, eine vorzeitliche Danielle Steel. Vorbilder kennt sie nicht, denn sie liest selber kaum: allenfalls Shakespeare, so lang dieser nicht versucht, komisch zu sein ... Was Angel nicht bemerkt, in der Liebe zum Schürzenjäger Esmé nicht, in der Kaltherzigkeit gegenüber ihrer kranken Mutter nicht, daß ihr eigenes Leben zunehmend selbst zum Groschenroman wird. Da werden Gefühle lautstark aber hohl empfunden, da fühlt sich die Heldin permanent von Ungerechtigkeit umzingelt, da wird alles Bodenhaftende ausgeblendet. Ein Leben ist das schon, aber irgendwie kein echtes.

Ozon gönnt uns etwas mittlerweile ganz Seltenes - richtig großes Kino. Er zelebriert das Lieben und Leiden seines fallenden Engels als ein wechselwarmes Fest aus schwelgerischen Bildern voll wild-buntem Herbstlaub, aus Tränensturzfluten und Liebesschwüren zum Mitschreiben. Und die Zutaten sind gut gewählt wie vollzählig: Mißgunst, Eifersucht, Schicksalsschläge, Liebesverrat und Höhenfieber - nur auf die kleinen weißen Kätzchen ist in einer derart bösen Welt noch Verlaß. Zum Zeitpunkt dieser Scheinerkenntnis ist Angel aber längst verloren - irgendwo in der Falz ihres eigenen Schmökers.

ANGEL ist Zelluloid gewordenes, süßsaures und manchmal kitschfarbenes Kaugummi, dessen Geschmack zum Ende vielleicht bitter-melancholisch aber niemals schal wird. Ozon stellt dabei ganz subtil die Frage nach dem Glück. Die Antwort liefert Douglas Sirk, der einst sagte: "Das Glück, was man so Glück nennt, ist - was alle ängstlich ahnen - illusionär."

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.