Originaltitel: ANNETTE

F/D/USA/Belgien/J/CH/Mexiko 2021, 140 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Musical, Drama, Mystery

Darsteller: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg

Regie: Leos Carax

Kinostart: 16.12.21

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Annette

Hast du Töne, Carax?

Man muß sich dieses Musical als Ritual vorstellen. Eines, das sich aus Experiment und Spielfreude seine eigene strenge Rahmung baut. Neun Jahre ist es her, seit Leos Carax mit der Verwandlungsnummer HOLY MOTORS begeisterte. Seinem neuen Werk wohnt das Prinzip der Verwandlung nun erneut inne.

ANNETTE setzt zunächst hinter den Kulissen an. In einem Tonstudio gibt Carax das Startsignal für die Sparks, Glam-Rocker und Musik-Komponisten des Films. „So May We Start“ – aus dem Tonstudio geht es trällernd raus auf die Straße, das Ensemble strömt zusammen. Vom Making-Of zum Musikvideo zum Musical zur Oper zum Melodram. Voller Illusionen und Überzeichnungen, die sich zugleich wieder selbst brechen. Bis zum Exzeß treibt Carax seine Meta-Show. Über zwei Stunden – wie eine Wundertüte, die sich öffnet und nicht schließen läßt, bis alle Formeln zerfließen, alles in Rauschzustände gerät und in seiner eigenen Sphäre schwirrt. Da sind wir wieder beim Rituellen. Erzählt und besungen wird indes die tragische Liebe zwischen Adam Driver und Marion Cotillard: er Komiker, sie Opernstar. Beide zeugen Annette, eine Holzpuppe mit magischem Gesangstalent, das man bald für Profit ausschlachtet.

Natürlich zieht das Carax nicht einfach als heiteres Hollywood-Musical auf, sondern als perfiden Trip. Das ist ein widerspenstiges Werk, das erst einmal neu entdecken will, wie Kino, Film, Musik- und Alltagstheater in ein und derselben Konstellation überhaupt funktionieren. Mit Räumen, die aufbrechen und ins Unterbewußte führen. Mit Puppen, die lebendig werden, und profanen Schauplätzen, die sich in Bühnen verwandeln. Ein Faß ohne Boden, aber ambitioniert! Die Musik: wenige Ohrwürmer, der Rest so sperrig und quälend wie die Dämonen, mit denen die Figuren ringen. Sie scheitern an der Lust am Spektakel. Wie auch Carax sein Publikum an einer Lust am Schönen und Spektakulären förmlich ersticken läßt.

Am Ende ist er ein begnadeter Kino-Zauberer, der sich mit seinen eigenen Tricks und deren Parodie befaßt. Darunter ringt sich sein Werk lediglich einen etwas blassen Plot um toxische, heimgesuchte Kerle im bösen Showgeschäft ab. Alter Budenzauber, würde Carax ihn nicht mit so viel Inszenierungswut schillern lassen. Beim nächsten Mal trotzdem gern ganz ohne Handlung!

[ Janick Nolting ]