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Anni Felici

Die Freischwimmer

Man könnte meinen, über die 70er Jahre sei alles erzählt: sexuelle Befreiung, Schlaghosen, Hippies mit langen Haaren, dunkelbraune Cordsofas, feministische Revolution ... Zahlreiche Filme und Bücher haben diese Zeit bebildert und zerredet, umso erstaunlicher, daß nun ein Film in die Kinos kommt, der nicht den Anspruch mitbringt, etwas grundsätzlich Neues erzählen zu wollen. Wie angenehm!

Im kreativen Milieu Roms leben Guido und Serena und ihre beiden Söhne. Er, der selbstbezogene Künstler, der nach Anerkennung hechtet und dabei das Wesentliche aus den Augen verliert. Sie, die liebende Frau und Mutter, die ihn unterstützen will und seine Lieblosigkeit sowie seine Affären in Kauf nimmt. Sexuell befreit ist hier erstmal gar nichts. Interessant ist die Erzählperspektive, denn die Geschichte erzählt Dario, der älteste Sohn, der alles mit einer Super-8-Kamera festhält. So kommen auch die Nöte der Kinder in einer sich emanzipierenden Gesellschaft ans Tageslicht.

Es ist Guido, der Dario am Bein hochzieht, nachdem er, um einem Streit seiner Eltern zu entkommen, ins tiefe Wasser springt. Die beiden Kinder sind immer mittendrin: wenn der Vater die Geliebten empfängt, wenn die Mutter sich in ihrer Einsamkeit suhlt. Glücklich scheint hier keiner. Veränderung kommt, als Guidos Galeristin Serena zu einem gemeinsamen Urlaub unter Frauen überredet. Die politische Atmosphäre und die Nähe zur überaus charismatischen Helke lassen Serena plötzlich aus ihrem Prinzessinnenschlaf erwachen. Aber nicht nur sie fängt an, sich frei zu schwimmen. Auch Guido ist sich seiner Sache plötzlich nicht mehr so sicher, Geschlechterrollen werden in Frage gestellt und das eigene Leben von Grund auf beäugt. Mehr Glück bringt die Wandlung zwar nicht, aber dafür mehr Ehrlichkeit, und die befördert zumindest Guidos künstlerisches Schaffen.

ANNI FELICI ist eine schöne und melancholische Zeitreise in ein Jahrzehnt – die Pubertät des 20. Jahrhunderts. Eine aufregende und gleichzeitig schwere Zeit, ohne die wir heute nicht da wären, wo wir sind. Der Film macht aufs Neue klar, wieviel Kraft persönliche Veränderungen kosten, die am Ende auch die Gesellschaft voranbringen. Die größte Herausforderung dabei bleibt, das Erlebte in dem Moment genießen zu können. Dazu stellt Dario am Ende des Films fest: „Es waren glückliche Jahre, nur daß es keiner von uns bemerkt hat.“

Originaltitel: ANNI FELICI

I/F 2013, 100 min
FSK 6
Verleih: Camino

Genre: Drama

Darsteller: Kim Rossi Stuart, Micaela Ramazzotti, Martina Gedeck

Regie: Daniele Luchetti

Kinostart: 27.08.15

[ Claudia Euen ]