Das „Living Theatre“ ist (nicht nur) in Theaterkreisen eine Legende: politisches Theater, das bestehende Machtstrukturen radikal in Frage stellt. Gegründet in den 50ern in New York, wurde die Gruppe um Judith Malina schnell zum Mythos, weil sie ganz bewußt die Grenzen zwischen Politik und Kunst überschritt und nicht nur auf der Bühne ihren Protest gegen Militarismus, Kapitalismus und Krieg artikulierte. Laut und ungeschminkt, mit vollem Körpereinsatz. Ihr Stück „The Brig“, uraufgeführt 1963, beschreibt den unmenschlichen Alltag in einem Militärgefängnis. „The Brig“ wurde zum Klassiker und war Vorbild für Antikriegsfilme wie APOCALYPSE NOW oder FULL METAL JACKET.
So weit die Legende. Im April letzten Jahres kam die sagenumwobene Theaterkompanie der inzwischen über 80jährigen Grande Dame Malina nach Berlin, um „The Brig“ dort mehr als vierzig Jahre nach der Premiere noch einmal aufzuführen. Organisiert wurde die Tournee von zwei Deutschen, Karin Kaper und Dirk Szuszies. Szuszies war selbst viele Jahre Teil des „Living Theatre“ und beschloß, über die Wiederaufnahme des legendären Stückes einen Dokumentarfilm zu drehen: Das Ergebnis ist nun im Kino.
Leider beschränkt sich der Film fast ausschließlich darauf, das Geschehen auf der Bühne und einige Performance-artige Auftritte in Berlin zu zeigen und fügt dem kaum mehr hinzu, als eine Handvoll wenig instruktiver Interviewfetzen mit den aktuellen Schauspielern und zwei ausgesprochen spannende, leider aber viel zu kurze Sequenzen mit Archivaufnahmen. Judith Malina, die charismatische Gründerin der Gruppe, wird eher als guter Geist beschworen, als daß sie wirklich zu Wort kommt. Und das ist ein großer Fehler. Als nach über 40 Filmminuten zum ersten Mal ein weniger als 3minütiger Interview-Ausschnitt mit ihr aus den 60er Jahren die wenig inspirierte Doku der aktuellen Inszenierung unterbricht, ahnt man sogar in diesem zu kurzen Moment den Witz, die künstlerische Sensibilität und den Mut dieser Künstlerin, die ihr widerständiges und eigenwilliges Theater trotz aller Schwierigkeiten im Lauf der Jahrzehnte lebendig erhalten hat.
Dem Dokumentarfilm ANOTHER GLORIOUS DAY geht all das leider vollständig ab. Eine derart uninspirierte, langatmige und einfallslose Hommage hat niemand verdient, am allerwenigsten das „Living Theatre.“
Originaltitel: ANOTHER GLORIOUS DAY
D 2009, 95 min
Verleih: Kaper Film
Genre: Dokumentation
Regie: Karin Kaper, Dirk Szuszies
Kinostart: 26.11.09
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.