D 2023, 94 min
FSK 6
Verleih: DCM
Genre: Biographie, Dokumentation
Regie: Wim Wenders
Kinostart: 12.10.23
In der Unterzeile stecken die Koordinaten für den Kinobesuch. Wim Wenders’ neuestes Künstleressay wird nur dreidimensional, tonfeiernd und höchst aufgelöst seine perfekte Wirkung entfalten können. Es wäre die Reinstform der Sichtung. Doch Wenders selbst ist viel zu sehr Gourmet, als daß er nicht schon beim Konzipieren einpreisen würde, daß seine dokumentarischen Filme nicht immer diese perfekte Wirkung entfalten können. Schon PINA (über Bausch) und DAS SALZ DER ERDE (über Sebastião Salgado) haben ein paar Nummern kleiner funktioniert, ANSELM wird das gleiche Glück zuteil.
Es heißt zwar Atelier, doch in Anselm Kiefers Kreativräumen könnte man den zweiten Teil von IN DEN GÄNGEN drehen. Hubwagen und Hebebühnen kommen zum Einsatz, Radlader, Flammenwerfer, der Künstler selbst fährt Fahrrad, während Mitarbeiter die riesigen Bilder von A nach B wuchten. Kiefers Werke sind haptisch zumeist von grober Struktur und schwer, oft arbeitet der 78jährige mit Gegenständen und Materialien wie Pflanzen, flüssigem Blei, Stroh und Asche, die von forschenden Kameras geliebt werden, weil sie dann im Endzustand eigenen Landschaften gleichen. Eine pure Einladung für Freund Wim, die Freund Anselm wohl nur aufgrund dieser Freundschaft ausgesprochen hat.
Was am Film überrascht, ist längst nicht die Üppigkeit der Elemente, die sich zu einer visuell-akustischen Reise finden. Was wirklich staunen läßt, ist die Beschränkung in der Laufzeit. Wenders gelingt in seinen Dokumentar-Essays grandiose Effizienz. Und so ermöglicht ANSELM auf der Leinwand wirklich das Rauschen der Zeit. Kiefer ist zu hören und zu sehen, auch in Archivaufnahmen aus dem Odenwald, als er schon einmal eher ein Gelände gepachtet hatte wie jetzt in Frankreich, wo er seit 1992 lebt. Gezeigt werden Kiefer und sein Lehrer Joseph Beuys, Paul Celan oder Interviews, in denen er sich aufrecht und einleuchtend mit schweren Vorwürfen auseinandersetzt, er sei ein Neu-Reaktionär, nur weil er von den Nazis mißbrauchte und instrumentalisierte Künstler aufgreift.
Das sind Sequenzen der Authentizität, die ein Künstlerporträt braucht, doch Wenders wäre nicht Wim, würde sein Film nicht von Komposition und Collage leben. Mit Überblendungen, inszenierten Spielszenen, Schwarzweiß neben der Farbe, flüsternden Stimmen aus dem Off, stringenter Musik. ANSELM ist die nächste eher sinnliche Offensive im prosperierenden Dok-Kino.
[ Andreas Körner ]