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Antares – Studien der Liebe

Leidenschaften in Randlage oder Die Wiederentdeckung der Ungemütlichkeit

Noch müssen sich Filme aus Österreich mühsamer als andere herumsprechen, zumindest beim Publikum. Manche Namen raunt man sich lauter zu. Haneke, Seidl oder Albert, zum Beispiel, die mit hinter-, doppel- und abgründigen Arbeiten an so manchem kauen, aber nie an einem Stück Sacher-Torte. ANTARES ist nun einer der stilleren Filme, für den man um so lauter schreien möchte. Zuerst, weil den Liebenden dieser Geschichten dazu die Luft fehlt. Mehr noch aber, weil der Regisseur ihre beklemmende Sprachlosigkeit zum Reden bringt - über Verschwiegenes, Einsamkeit, Alltag und emotionale Peripherien.

In einer Plattenbausiedlung am Rand von Wien schlingt Götz Spielmann Lebenswege ineinander, wiederholt Szenen und dreht Perspektiven. Wiener Schmäh findet keinen Halt am Beton. Genauso wenig werden hier abgegriffene Vorstellungen vom sozialen Katastrophengebiet bedient. Man lebt halbwegs auskömmlich, ist mehr oder weniger geschmackvoll eingerichtet. Von außen ist alles so weit sauber, von Innen auch. Doch die Wohnbauten nach Setzkastenprinzip sind ein Modell: dafür, daß Menschen nicht als Quader zur Welt kommen, die sich in Grundrisse einpassen lassen.

Eva Hofstätter, eine aparte Krankenschwester im Schichtdienst, hat das lange versucht. Am Abendbrottisch sitzen der Ehemann und die halbwüchsige Tochter. Man spricht von einer Eigentumswohnung, die Putzfrau hat sauber gemacht. Doch Eva verzehrt sich nach Schmutz, nach tabulosem Sex mit der Zufallsbekanntschaft Tomasz. In einem Hotelzimmer, kaum weniger anonym und steril als das Betonzuhause, fallen die Schamgrenzen so schnell wie die Klamotten: "Ich habe noch nie so schön gefickt", sagt Eva. Und die Kamera führt Protokoll. Sie nimmt den erigierten Penis, die ungelenke Hast, die blaue Wand hinterm Bett oder die vor Lust blöd gewordenen Gesichter auf. "Menschen die genau schauen, denken auch genau", so der Regisseur. Tatsächlich erweist sich die Freizügigkeit solcher Bilder einmal mehr als Entzauberung für den Kopf, die dem Körper nichts als Unbehagen bereitet. Sie verbreitet Ungemütlichkeit, die an glasklar gefilmten und gestalteten Innenräumen hochkriecht wie Schimmel.

Weil es so ungemütlich ist zwischen diesen Bildern, in die hinein Lampen wie Zündschnüre hängen, bleibt man hellwach. Wach für das Bedrohliche, auch Komische von bellenden Hunden hinter verschlossenen Türen. Spielmann stößt nicht alle auf, sondern führt uns auf zwei weitere, präzise kartographierte, emotionale Schlachtfelder. Bei der Supermarktkassiererin Sonja und ihrem Freund Marco ist zu sehen, fühlen, riechen, daß eine Kinderzimmertapete aufgeklebte Angst sein kann. Denn die Schwangerschaft hat Sonja frei erfunden, damit Marco bleibt. Aber wenn ihm danach ist, huscht er in eine andere Wohnung, ins Bett zu Nicole. Doch auch die hat Angst - vor ihrem Ex-Mann, dem Wohnungsmakler Alex, der ihr seine Liebe einprügeln will.

Vieles ziehen diese Studien ins Kalkül: Fotographien von Familienausflügen oder einer aufgerissenen Vagina, die wie Versicherungspolicen gehütet werden, ein dickes Auto, das ein dünnes Leben auffüllen soll. Vor allem aber speist sich ihre Kraft aus der unberechenbaren Ruhe vor dem Sturm, einer mühsam gedämpften, bedrohlichen Aggressivität.

Österreich 2004, 119 min
Verleih: Zorro

Genre: Drama, Episodenfilm, Liebe

Darsteller: Petra Morzé, Andreas Patton, Hary Prinz, Susanne Wuest, Dennis Cubic, Martina Zinner, Andreas Kiendl

Stab:
Regie: Götz Spielmann
Drehbuch: Götz Spielmann

Kinostart: 11.08.05

[ Sylvia Görke ]