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Anvil

Tragikomödie mit Metal-Riffs

Schnell leben, jung sterben. Verbrennen statt verglimmen. Das ist immer noch das Mantra, das Klischee vom echten Rock’n’Roller. Und wenn der nicht Ikarus gleich zu nah an die Sonne kam und abschmierte, muß er wenigstens hoch genug geflogen sein, um ein Alterswerk fabrizieren zu können, in dem er zehrt, von dieser delirierenden Lebensphilosophie. Soll heißen, einer wie Neil Young etwa darf seine alte Liedzeile auch heute noch singen: „My My, Hey Hey! It’s Better To Burn Out Than To Fade Away …“

Einem Typen wie Steve „Lips“ Kudlow ist wohl jeder schon mal irgendwie begegnet. Halb Freak, halb netter Kumpel. Das Haar noch lang, aber schon dünn. Das Gesicht faltig, aber in den Augen ein Leuchten, wie es manch Jungspund schon nicht mehr hat. Einer, der einem in der Kneipe sofort Geschichten erzählt, die man gern hört, aber die man nicht so recht glauben mag. Steve etwa, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, in Toronto Essen für Schulen auszufahren, und der herrlich sarkastisch über den Unterschied zwischen Hackbraten und Fleischklopsen dozieren kann, könnte einem außerdem übers Bierglas hinweg auftischen, daß er in den frühen 80er Jahren vor Tausenden ihm zujubelnder Japaner mit einem Dildo seine E-Gitarre bearbeitet hat. Und mag man da die Stirn skeptisch runzeln – es ist die reine Wahrheit.

Bei ANVIL fühlt man sich an die berühmte Mockumentary THIS IS SPINAL TAP (1983) erinnert. Nur, daß Anvil tatsächlich existierte. Sorry! Existiert. Und Essenausfahrer Steve war – nein: ist! – Chef dieser Heavy-Metal-Band, die einst neben den ganz Großen der Szene gleichberechtigt auf der Bühne stand. Sacha Gervasis Dokumentarfilm ist die Chronik einer notorischen Erfolglosigkeit nach kurzem Höhenflug. Gezeigt wird, was geschieht, wenn man für seine Musik brennt und brennt und brennt – und kein Schwein sieht das Leuchten.

Im Mittelpunkt stehen Steve und dessen Freund, Bandschlagzeuger Robb Reiner. Anvil-Urgesteine, die immer wieder neue Musiker rekrutieren und durchhalten, weitermachen. Leere Hallen oder Besoffene in Kneipensälen beschallend. Die eine Europa-Tour zustande bekommen, die zur nervenzehrenden Farce wird. Die sich fetzen und versöhnen. Hymnisch die Liebe zur Musik feiern. Zwei sympathische Narren. Beneidenswert, weil sie etwas haben, wofür sie leben, oder zu bedauern, weil sie ihr Leben mit etwas vergeuden, das keiner will?

Originaltitel: ANVIL! THE STORY OF ANVIL

USA 2008, 90 min
Verleih: REM

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Sacha Gervasi

Kinostart: 20.05.10

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.