D 2018, 100 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Rainer Bock, Albrecht Schuch, Thorsten Merten, Uwe Preuss

Regie: David Nawrath

Kinostart: 25.04.19

7 Bewertungen

Atlas

Der Aushalter

Der englische Sprachraum ist oft auch in seinen Filmbegriffen präziser. Er nennt den Nebendarsteller – im Deutschen stets mit der Ahnung eines geringfügig Beschäftigten bedacht – „Supporting Actor.“ Einer, der hilft und unterstützt und anderen an seiner Seite viel Raum überläßt. Einer wie Rainer Bock. Doch das ist jetzt für 100 Minuten vorbei. ATLAS ist die erste Kino-Hauptrolle für den fulminanten 65jährigen Schauspieler.

Dabei hätte er selbst eher jemanden wie Josef Bierbichler da drin gesehen: Massiv wie der ist, mit Händen wie Bratpfannen. Regisseur David Nawrath aber wollte den Bock zum Möbelpacker machen. Walter, 60, der früher wußte, wie man mit Gewichten gewinnt und es heute nur noch aus matter Routine macht. Walter, der stille Mann mit den dunklen Flecken in seinem Leben. Walter, der Aushalter. Denn er mischt sich nicht mehr ein, selbst dann nicht, wenn sich Kollegen prügeln. Es muß Gründe haben. Es hat Gründe.

Walter arbeitet für die Spedition Grone in Frankfurt/Main. Spezialisten für Zwangsräumungen und Machenschaften sind sie, für stinkende Messi-Löcher, die mal Wohnungen waren, und arme Würste, denen nicht einmal der Fernseher bleibt, wenn die Packer mit dem Gerichtsvollzieher anrücken. Es gibt aber auch die Sturen, einen wie Jan, der mit Frau und Kind seine vier Altbauwände schützt, als seien sie eine Festung. Jan, der längst der Letzte ist im Haus, Kopfprämien ablehnt und kämpft. Zwischen Weihnachten und Neujahr soll die Spedition dort für klare Verhältnisse sorgen, die Truppe sieht nur den nächsten Job. Doch als Walter den jungen Mann im Türrahmen erblickt, wird er diesmal ahnen müssen, daß hier alles anders laufen wird. Denn Jan ist mehr als nur ein biestiger Mieter.

ATLAS, Nawraths Debüt, überzeugt mit einer fokussierten, entschlossenen Erzählform, mit einer extrem präzisen Vorlage und stimmigen Umsetzung. Zwischen Anriß und Symbol, echter Tiefgründigkeit und leiser Wucht behandelt er, frei von cineastischen Muskelspielen und dennoch mit starken Bildern und Tönen, einige der wirklich großen zeitgenössischen Themen, ohne ein überladenes Themendrama zu sein. Dafür ist er zu sehr Thriller und Menschenporträt, Ensemblefilm und Solo. Dafür ist er zu gut.

Und Bock? Erinnert auf berührende Weise an Peter Kurths HERBERT. Packen bekommt hier eine zweite Bedeutung. Und es ist ein starkes deutsches Wort.

[ Andreas Körner ]