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Auf brennender Erde

Drei Frauenschicksale im Labyrinth des Guillermo Arriaga

Beim Betreten einer gefährlichen Zone warnen oft große Schilder vor den Gefahren, die den Mutigen, oder je nach Situation auch Leichtsinnigen, dort erwarten. Auch ein Besuch im Kino gleicht manchmal dem Vordringen in unwegsames, gefährliches Gelände. Hinweisschilder gibt es hier meist keine, aber im Falle von Guillermo Arriagas Regiedebüt gibt es eine Warnung, ganz am Anfang seines Films, wenngleich sie auch so klein ist, daß sie in die Millisekunde eines Schnitts paßt. Es ist der Wechsel von der ersten zur zweiten Einstellung, von einem lichterloh brennenden Wohnwagenwrack in der amerikanischen Wüste auf den nackten Rücken einer Frau, die im kühlen blauen Licht eines edlen Großstadtapartments am Fenster steht und sich an der Schulter kratzt. Das Feuer aus dem ersten Bild hat sich in dieses zweite hinübergerettet und verweist auf das Prinzip, nach dem die folgenden 100 Minuten funktionieren, nämlich dem der Verknüpfung. Und dazu gehört auch, daß wir das, was der Frau da im wahrsten Sinne des Wortes unter der Haut brennt, erst nach dem Durchschreiten eines wahren Filmlabyrinths erfahren werden.

Es ist seine große Stärke, dieses nichtchronologische Erzählen, und man wird nicht müde, die verschlungenen Wege und überraschenden Kreuzungen der Geschichten mitzugehen, die Arriaga immer wieder meisterhaft ersinnt. Sie sind so unvorhersehbar wie das Leben selbst. Und wie unser Gedächtnis verweigern sie sich oft lange dem Zugriff auf die wesentlichen Verletzungen der Seele. Wie bei Sylvia, der jungen hübschen Frau, die in Portland sehr erfolgreich ein Edelrestaurant betreibt. Sie scheint keine Vergangenheit zu haben, oder besser, keine haben zu wollen. Möglichkeiten des Innehaltens begräbt sie unter Rotwein und Sex mit Angestellten oder Kunden. Sie hat alles ausgelöscht, was nicht Hier und Jetzt ist, alles außer ihrer Arbeit und ihrem Körper. Doch selbst das scheint ihr noch zu viel, wenn auf den Klippen der Küste der bedrohlich tosende Pazifik die Erlösung verspricht.

Wie bei kaum einem anderen Film der letzten Zeit spielen Landschaften eine so entscheidende und so beeindruckende Rolle wie hier. Das Prinzip der Spiegelung der Innenwelt durch die Umgebung ist nicht neu, wurde jedoch selten so homogen wie hier in die Geschichte eingebaut. Sei es die Welt aus Wasser und Beton, in der Sylvia lebt, oder der alte, heruntergekommene Trailer mitten im ausgetrockneten Grenzgebiet zu Mexiko, der den zweiten Eingang in den erzählerischen Irrgarten bildet. In jeder freien Minute treffen sich hier Gina und Nick. Sie haben ein Verhältnis, und der Wohnwagen wird zu ihrem Rückzugsort. Und wie sie ihn von Dreck und Unrat befreien, so befreien sie auch ihr Inneres bei jeder Begegnung von seelischem Ballast, was Kim Basinger in der Rolle der Gina einen der stärksten Momente ihrer Karriere beschert.

Doch Arriaga steigert den Schwierigkeitsgrad noch, indem er hier auch noch beginnt, in der Zeit vor- und zurückzuspringen. Aber er spinnt den Ariadnefaden weiter, versteckt in jedem Szenenwechsel einen Hinweis. Hinweise, die auch Ginas Tochter Marianna langsam erkennt. Als sie von dem Doppelleben ihrer Mutter erfährt, versucht sie, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, doch das Schicksal hat bereits einen Ausgang geplant. Und so erleben wir gleichzeitig, wie sie, unwissend aber unabwendbar, auf die Katastrophe zusteuert, und wie sie danach damit umgeht.

Unsere eigene alltägliche Erfahrung mit der Unvorhersehbarkeit der Dinge und dem krampfhaften Versuch, sie trotzdem zu beeinflussen, machen die verstrickte Erzähltechnik Arriagas so sinnvoll. Die Unmöglichkeit der Flucht vor dem eigenen Schicksal ist nach 21 GRAMM wieder sein großes Thema. Und es ist äußerst spannend zu beobachten, wie der Drehbuchautor ohne seinen langjährigen Freund und Regisseur Iñarritu die Geschichte auf seine ganz eigene Weise umsetzt. In langen ruhigen Kameraeinstellungen und mit einem starken Schauspielerensemble gelingt ihm die Emanzipation.

Originaltitel: THE BURNING PLAIN

USA 2008, 107 min
FSK 12
Verleih: Capelight

Genre: Drama, Schicksal

Darsteller: Charlize Theron, Kim Basinger, Jennifer Lawrence

Stab:
Regie: Guillermo Arriaga
Drehbuch: Guillermo Arriaga
Musik: Hans Zimmer

Kinostart: 26.05.11

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...