Originaltitel: UN DIVAN Á TUNIS

Tunesien/F 2019, 90 min
FSK 6
Verleih: Prokino

Genre: Komödie

Darsteller: Golshifteh Farahani, Majd Mastoura

Regie: Manele Labidi

Kinostart: 30.07.20

8 Bewertungen

Auf der Couch in Tunis

Therapie für alle!

„Wir haben Gott, wir brauchen diesen Quatsch nicht!“, wirft der Onkel Selma an den Kopf. Mit „Quatsch“ ist Selmas Idee gemeint, in ihrer alten Heimat Tunis eine Praxis für Psychotherapie zu eröffnen. Aufgewachsen ist sie größtenteils in Paris, aber da es dort einen Überschuß an Seelenklempnern gibt, sieht sie für sich nach dem Sturz des Diktators Ben Ali eine Chance, mit ihrer Geschäftsidee zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und tatsächlich wird ihre auf einer Dachterrasse provisorisch eingerichtete Praxis schon bald von willigen Klienten überrannt, die alle viel zu erzählen haben.

Die Figur der Selma steht für ein modernes Frauenbild, für Aufbruch, den sich viele Tunesier ersehnen. Jedoch auch kritisch hinterfragen. Unverheiratet, ohne Kinder, mit eigenständigem Einkommen und einem eher legeren Kleidungsstil, bietet die Rückkehrerin auf mehreren Ebenen Projektionsflächen. Sie wird zum Spiegel ihrer Patienten, verkörpert ihre Wünsche und Ängste in einem. Gleichzeitig ist sie eine von ihnen, der man Vertrauen schenken kann. Aber eben auch nicht. Diese spürbare innere Zerrissenheit von Selma, die jeder, der mit einem familiären Migrationshintergrund lebt und zwischen kulturellen Welten pendelt, kennt, gibt dem Spielfilmdebüt von Manele Labidi einen leisen melancholischen Unterton, der bei dieser ansonsten mit lustvoller Leichtigkeit erzählten Komödie mitschwingt.

Golshifteh Farahani ist dabei die perfekte Besetzung für Selma, die dauerrauchend, nonchalant und mit selbstbewußter Naivität allen Widrigkeiten trotzt, die sich ihr in den Weg stellen. Denn natürlich hat sie „vergessen“, sich eine Zulassung zu besorgen, und die Bürokratiemühlen bewegen sich nur schleichend. Ständig versucht eine Beamtin, ihr Damendessous oder Halstücher anzudrehen, statt endlich ihren Fall zu bearbeiten. Und ihr alkoholabhängiger Onkel, die daueraufgeregte Tante und ihre rebellische Cousine sorgen für immer neue kleine Dramen. Labidi erzählt diese Stereotype mit einem frischen, liebevoll zugewandt beobachtenden Blick. Man spürt immer ihre innere Verbundenheit, ist doch dieser Film eine Hommage an das Land ihrer Eltern. Und ein sehr positives Beispiel dafür, persönliche Familiengeschichten filmisch zu verarbeiten.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...