Originaltitel: AVA

F 2017, 105 min
FSK 12
Verleih: Eksystent

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Noée Abita, Laure Calamy, Juan Cano, Tamara Cano

Regie: Léa Mysius

Kinostart: 27.09.18

1 Bewertung

Ava

Wild wucherndes Lichtspiel

Die Diagnose gleicht einem Urteil: Retinis pigmentos. Es dauert zumeist kein halbes Jahr, und das Augenlicht weicht dem Betroffenen aus dem Körper, erst nachts, dann ringförmig auch am Tag. Das Gesichtsfeld wird schwarz und schwärzer. Eigentlich müßte sich die 13jährige Ava die Ohren zuhalten, als ihr der Arzt die Botschaft überbringt. Im Urlaub. Doch sie schließt einfach die Augen. Fest. Noch fester.

Der Beginn von Léa Mysius’ Debüt ist schon der Hammer! Postkartenfarbig liegen Körper an einem Strand. Bunt blinken Badesachen im Grell der Sonne. Plötzlich taucht ein schwarzer Hund auf, schleicht gewandt zwischen Frauen, Männern und Kindern umher, frißt Chips aus einer Schachtel, die auf dem Bauch eines schlafenden Mädchens parkt. Es ist der Bauch von Ava, und der Hund läßt sie nicht mehr los. Juan, der Junge zum Hund, kommt irgendwann hinzu. Der ist nicht so brav wie der Sohn des Beachsegel-Trainers, also viel interessanter für Ava. Die hätte schon genug mit ihrer erwachten Pubertät zu tun und würde das mit den Augen gar nicht brauchen, um mit all den plötzlich auftauchenden Stopzeichen und freigegebenen Geschwindigkeiten im Leben umzugehen.

Ava ist mit ihrer allzu feschen Mutter Maud und der kleinen Baby-Schwester hier. Knapp bemessene Wochen, die alles verändern werden. Ava entdeckt die Chancen der eigenen Bösartigkeit, läuft gespielt blind auf einem Dach umher und nackt ins Meer, malt schwarze Ringe an Türen, hat Alpträume. Vor allem sucht und findet sie Juan fürs erste und zugleich letzte (?) große Abenteuer als Sehende. Dafür kann man sich schon mal als Kriegerin und Krieger mit Dreck beschmieren und zu Sharon Jones’ exemplarischem Soulstück „She Ain’t A Child No More“ Badegäste erschrecken. Und, wer weiß: Ein Mädchen wie Ava schlägt vielleicht sogar die Retinis pigmentos in die Flucht.

Denn dieser Film knallt daher wie eine aufrecht holpernde und mutige Wildwucherung der Stile: Coming-Of-Age-Drama, Märchen mit schwerer zwischenzeitlicher Mystery-Attacke, Erste-Liebe-Blende. AVA sieht aus, wie ein 35mm-Film heute auszusehen hat: markant und etwas nostalgisch. Als es digital noch nicht gab, hießen Kinos ja mal Lichtspielhäuser.

AVA ist auch das wuchtige Debüt von Noée Abita in der Hauptrolle, die beim Dreh gottlob schon 17 war. Ansonsten wäre aufgrund offensiver Freizügigkeiten unbedingt noch über anderes zu reden.

[ Andreas Körner ]