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Axiom

Des Julius‘ neue Kleider

Fetzen von Kunstinterpretation schweben durch die Ausstellungsräume, in denen Julius als Aufsichtsperson arbeitet. Er scheint auf eine nicht greifbare Art über den Dingen zu stehen, nimmt die Rolle des allwissenden Beobachters ein, der nur zufällig einen Job im Museum hat. Ab und an weist er Besucher zurecht, bedient sich seiner Autorität. Regisseur Jöns Jönsson konzentriert sich auf Julius’ Habitus, fädelt ganz langsam Irritationen in die Gespräche ein, die geführt werden, zeigt, wie der Endzwanziger sich immer wieder wie ein Chamäleon an seine Umgebung anpaßt. Ob mit Kollegen, Familie, WG – für jede Facette seines Alltags scheint er eine eigene Geschichte bereitzuhalten, die er als sein Leben ausgibt. Falls es mal neuen Gesprächsstoff braucht oder Julius sein Selbst ein wenig aufpeppen will, findet sich immer eine spannende Anekdote, die er in Gesprächen aufgeschnappt hatte und jetzt als sein Erlebnis ausgibt. Julius ist ein Schwamm, der alles um sich herum aufsaugt, und eine polierte Fassade zugleich. Denn gerät er mit seinen Flunkereien und Lügengeschichten in Erklärungsnot, läßt er alle anderen Menschen abprallen und greift eiskalt zu allen Mitteln, um die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen. Dabei ist sein größtes Ziel immer Aufmerksamkeit – und sei es nur für einen Moment.

Das ist der interessanteste Aspekt an diesem Porträt eines Pseudologen, den Jönsson in mäandernden Bögen erzählt. Daß Julius ein notorischer Lügner ist, der sich in seine zahlreichen Persönlichkeitsfacetten verstrickt, ist schnell verstanden. Auch führt die Regie uns nicht in seine persönlichen Untiefen ein. Vielmehr konfrontieren Julius’ wechselnde Identitäten die Betrachtenden des Possenspiels mit der Frage, was es brauchen würde, daß wir selbst ihn wertschätzen, anerkennen, spannend finden. Wie soll der Mensch sein, der unser Ansehen bekommt? Ist Ansehen die neue Liebe? Und werden wir gerne belogen, wenn wir dann bekommen, was wir sehen wollen?

Das Kuratieren des eigenen Lebens ist längst zur Normalität geworden. Algorithmen setzen auf Gesichter, emotionale Texte, brisante Themen, und trotzdem durchschaut keiner das System des Erfolgs. Julius’ Anstrengungen, derer es bedarf, um weiterhin im Spiel zu bleiben, verlangen ihm einiges ab. Aber vielleicht ist der unterhaltsame Klugscheißer Julius auch einfach eine besonders nervige, exotische Blüte, die aus unserer längst erschöpften Gesellschaft erwächst.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...