Sicher hat Paolo Conte schönere Lieder geschrieben, aber dieses "Azzurro" verführt in seiner Einfachheit zum Mitsingen und Träumen und steht für Italien wie Pasta, Pizza und Vatikan. Egal ob man also an den fröhlichen Interpreten Adriano Celentano, die Intonation der Toten Hosen oder gar an einen Schlagerbarden namens Peter Rubin und seine deutsche Nachdichtung denkt: immer hat man ein unendliches Blau aus Meer und Himmel im Kopf. Für das Großvater-Enkelin-Gespann - personales Zentrum von Denis Rabaglias Film - verbindet sich dieses poetische Blau mit einer ganz prosaischen Tatsache. Die kleine Carla ist blind und kennt Farben nur vom Hörensagen. Als Großvater Giuseppe durch einen Herzanfall Ahnung von der Endlichkeit seines Daseins bekommt, entschließt er sich, mit dem Mädchen in die Schweiz zu reisen. Hier lebte er dreißig Jahre lang als Gastarbeiter und hofft nun, bei seinem ehemaligen Chef finanzielle Unterstützung für die teure Augenoperation der Kleinen zu finden. Doch der alte Herr Broyer kann sich lediglich ein klebriges Bonbon und ein paar gute Worte abringen.
Behutsam und im geschickten Spiel mit den Zeitebenen verschiebt Rabaglia allmählich das Ziel der Reise, indem er Erinnerungsbilder aus Giuseppes Leben in der Schweizer Fremde einstreut. Begegnungen, die zunächst nebensächlich erscheinen, entpuppen sich als Spuren in die Vergangenheit. Was als Roadtrip begann, verdichtet sich zu einer komplexen Geschichte über Respekt und Schuld. Obwohl trotz aller Ernsthaftigkeit mit leichter Hand und leisem Humor erzählt wird, ist es doch vor allem das Rührungspotential des Stoffes, aus dem Rabaglia schöpft. Besonders, wenn der Alte seine Enkelin über den enttäuschenden Ausgang des Besuches bei Broyer belügt, fühlt man sich an die zwar effektive aber emotional etwas überdrehte Tränendramaturgie von Roberto Benignis DAS LEBEN IST SCHÖN erinnert. Dennoch: Auf einen Hauch von tristezza kann im Kino niemand wirklich verzichten wollen!
Originaltitel: AZZURRO
CH/I/F 2000, 85 min
Verleih: Delphi
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Paolo Villaggio, Marie-Christine Barrault
Stab:
Regie: Denis Rabaglia
Drehbuch: Denis Rabaglia
[ Sylvia Görke ]