Originaltitel: BAARÌA – LA PORTA DEL VENTO

I 2009, 150 min
FSK 6
Verleih: Tobis

Genre: Drama, Historie

Darsteller: Francesco Scianna, Margareth Madé, Angela Molina, Michele Placido, Raoul Bova, Monica Bellucci

Regie: Giuseppe Tornatore

Kinostart: 29.04.10

17 Bewertungen

Baarìa

Ein wahrhaftiges Cinema Paradiso

Als 2009 die Filmfestspiele von Venedig nach langen Jahren endlich mal wieder mit einem italienischen Beitrag und dann auch noch mit dem eines Regiemeisters, nämlich Giuseppe Tornatore (CINEMA PARADISO, ALLEN GEHT’S GUT, DER ZAUBER VON MALÈNA), eröffnet wurden, waren die Erwartungen groß. Naturgemäß dann freilich auch die Enttäuschungen. Gerade das deutsche Feuilleton haderte ausgesprochen fleißig und verstieg sich zu echt fundierten Kritiken. Moniert wurde etwa, der Film könne in der Art, wie er das italienische Volk darstelle, auch Berlusconi gefallen. Aha! Hübsch auch der Vorwurf, daß selbst bittere Armut hier in goldglänzendes Sonnenlicht getaucht würde. Tja, was soll man machen, der Film spielt eben auf Sizilien und nicht auf den Färöer-Inseln.

Sieht man sich BAARÌA nun an, ahnt man, was die Enttäuschung genannte und gern im Tonfall der Aversion artikulierte Kritik provozierte. Nämlich ein Mißverständnis. BAARÌA ist ein einziges episches Schwelgen. Eine Liebeserklärung an Sizilien und eine Hymne an die Menschen dort, die „in der Realität“ (aber was ist schon „Realität“?) so herzenswarm und fotogen sonnengebräunt wie hier wohl tatsächlich nicht waren und sind.

Und wenn schon! BAARÌA ist, und hier liegt es wohl, das Mißverständnis, eben kein historisch-politisches Epos, wie etwa Bertoluccis 1900. BAARÌA ist eine Educazione sentimentalmente. Tornatore bereist den Mythos Sizilien. Und BAARÌA ist sein Traum von diesem Sizilien. „Traum“ ist wörtlich gemeint. Nicht nur die expliziten Traumsequenzen im Film verweisen darauf, sondern dessen Struktur und Beschaffenheit selbst. Seine gleichzeitige Epik und Sprunghaftigkeit, seine motivischen Zyklen, seine Metaphern. Der Umgang mit der Zeit. 50 Jahre in 150 Filmminuten – und zu deren Ende ist die Spucke, die zu Beginn in den Staub der Piazza gespien wurde, gerade erst getrocknet.

Und Peppino erwacht. Peppino, dessen Leben vom Sohn eines verarmten Schafhirten zum kommunistischen Politiker und Familienvater als Ariadnefaden durch dieses Labyrinth aus mitunter wahrlich augenblickkurzen Episoden, abrupten Abschweifungen und knappen Porträt-Skizzen fungiert. Faschismus, Krieg, Kommunisten und Mafia, arme Landbevölkerung, reiche Großgrundbesitzer – BAARÌA bietet die ganze historische Folklore. Doch ist die nur die Leinwand, vor der Peppino träumt und auf der Tornatore ein neuerliches Kinoparadies malt, in dem selbst in höllischen Momenten die Schönheit obsiegt.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.