Jurys von Filmfestivals stehen unter Druck. Druck ist es, den sie sich häufig selbst machen, der aber auch von gesellschaftlichen oder politischen Aktualitäten verstärkt wird und nicht selten zu sonderbaren Reflexen führt. So standen lange Zeit abwesende Regisseure, weil ihnen die Regierungen ihrer Heimatländer den Reisepaß verweigerten, im Fokus. Als wäre dieser Umstand wichtiger als ihr Werk.
Auf dem Filmfest München 2015 überhäufte die Jury nun BABAI des im Kosovo geborenen Regisseurs Visar Morina mit Förderpreisen und begründete es mit Worten wie „Keine Lügen. Keine Posen. Nicht ein Moment der Selbstverliebtheit. Nicht ein falscher Ton.“ Die Flüchtlingswelle war zu diesem Zeitpunkt schon zur Krise ausgerufen worden. BABAI konnte als Kinofilm kein Kommentar sein, traf nur einen Nerv. Zum Glück trifft er in Momenten auch ins Herz, jetzt, wo er ins Kino kommt.
Die Perspektive gehört Nori. Der 10jährige ist zum ersten Mal zu sehen, als ein serbischer Grenzer den Kofferraum eines Autos öffnet und sich dort eben keine Second-Hand-Klamotten befinden wie behauptet, sondern dieses Kind. Es ist der Junge von Gezim, dem Mann auf dem Beifahrersitz. Es ist die erste Flucht, die mißlingt. Nori weiß nicht, was vor sich geht. Er ahnt es nur, spürt die einsilbige Unruhe des Vaters, die Nori alles Kindliche raubt, das mit ungetrübter Freude einhergehen müßte. Wo die Mutter und Ehefrau ist, wird nie klar in diesem Film, der auf weitere angerissene Handlungselemente baut. Der Regisseur hat augenscheinlich eine Abneigung vor den Fallen der Vorhersehbarkeit und eindeutigen Antworten, vollends gelungen ist die Umsetzung dennoch nicht.
Zwischenstation beim Onkel. Hier wird gerade eine Hochzeit vorbereitet, trifft Balkan-Kultur eine Familienplanung. Gezim und Nori kommen unter, für lange aber wird es nicht sein, denn der Vater steigt eines Morgens in den Bus – allein. Der Sohn kann nicht viel mehr tun, als sich voller Wut und Entschlossenheit vor das Gefährt zu werfen. Es ist ein verzweifelter Versuch, denn bald ist er wirklich allein. Doch so schnell kommt ihm der Vater nicht davon! Wo sie sich wiedersehen, wird Deutsch gesprochen.
Das Drama lebt von der Spannung einer aufs Kind fokussierten Inszenierung, von dessen innerer und äußerlicher Reise und damit vor allem von Hauptdarsteller Val Maloku. BABAI übrigens spielt Anfang der 90er Jahre …
Originaltitel: BABAI
D/Mazedonien/Kosovo/F 2015, 104 min
FSK 12
Verleih: Missing Films
Genre: Drama
Darsteller: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi
Regie: Visar Morina
Kinostart: 10.03.16
[ Andreas Körner ]