Die Stille spielt eine Hauptrolle in diesem Film. Regisseur Semih Kaplanoglu geht nicht nur ausgesprochen sparsam mit Sprache um, er hat auch die Kunst des stillen Bildes perfektioniert. In langen, genauestens kadrierten Einstellungen entführt er uns in die abgelegene Bergwelt der Schwarzmeerregion im Nordosten der Türkei. Wir sehen lange nichts als Wald, Bäume und Blätter, hören das Knacken und Ächzen der Zweige – tauchen buchstäblich ein in eine verwunschene Welt, die ständig im Nebel zu liegen scheint. Die Bilder dieses Films scheinen in einem Prozeß des langsamen Ausatmens entstanden zu sein, eine Geste, die dem Luftanhalten des schnellen Filmschnitts komplementär entgegengesetzt ist.
BAL erzählt auf meditative, aber niemals manierierte Weise die Geschichte des kleinen Yusuf, der mit seinen Eltern in diesen Tälern am Rande der Zivilisation lebt. Auch Yusuf scheint der Sprache nicht recht zu trauen und bedient sich ihrer nur zögernd, flüsternd, als liefe er Gefahr, mit jedem lauten Wort der Realität den Einbruch in die Idylle zu ermöglichen. Mit seinem Vater, der als Imker und im Wald arbeitet, versteht er sich sowieso ohne viele Worte. Seine stillen, dunkelbraunen Augen, die aufmerksam jede Bewegung des Vaters verfolgen, lassen einen auch lange nach dem Film nicht mehr los.
Es ist Yusufs unbestechlicher kindlicher Blick auf die Welt, an dem wir teilhaben, seine Angst, die sich auf uns überträgt, als ein mysteriöses Bienensterben die Idylle bedroht, weil es den Vater weg führt von der Familie. Kaplanoglu erzählt hier ganz beiläufig auch von der fragilen Balance zwischen Mensch und Natur und den fatalen und ungeahnt weitreichenden Folgen, die eine Störung dieses Gleichgewichts nach sich ziehen kann.
BAL wirkt wie ein Film aus einer anderen Zeit, er erzählt seine Geschichte mit meisterlichen, niemals metaphorisch überfrachteten Bildern. Wer sich auf diesen puren Stil einlassen kann, dem eröffnet sich eine ganz neue Zeit- und Raumwahrnehmung.
Originaltitel: BAL
D/Türkei 2010, 103 min
FSK 6
Verleih: Piffl
Genre: Poesie, Drama
Darsteller: Bora Altas, Erdal Besikçioglu, Tülin Özen, Alev Uçarer, Ayse Altay, Özkan Akçay
Regie: Semih Kaplanoglu
Kinostart: 09.09.10
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.