Warum ändert ein Mensch plötzlich seinen Namen? Um besser benannt die große Karriere zu starten? Will er nach schrecklicher Verfehlung untertauchen? Oder flieht gar vor sich selbst? Auf Vic(tory) trifft Letzteres zu – Vic heißt eigentlich Marieme, kümmert sich liebevoll um ihre zwei jüngeren Schwestern. Die Mutter: immer weg, den Lebensunterhalt verdienen. Der Vater: nicht existent. Der ältere Bruder: ein tyrannischer Macho. Mariemes Leben: eine vorbestimmte Einbahnstraße. Zumindest, bis Marieme nach drohendem Schulverweis von drei coolen Mädchen in deren Gang aufgenommen wird. Jetzt gelten keine Regeln, laut und offensiv zieht die Bande herum, klatscht verhaßte „Schlampen“ auf, läßt sich nix mehr vorschreiben, keinesfalls die Zukunft weisen. Aus Marieme schlüpft Vic, und Vic ist ziemlich auf Krawall gebürstet!
Was Regisseurin Céline Sciamma erneut als Erwachen erzählt, wobei ihr das Lieblingsthema diesmal aber, gemessen am hiesigen Erfolg als Drehbuchautorin, häufiger durch die Finger zu flutschen droht. Zu überdeutlich mahnend muß auf Offensichtliches hingewiesen werden (Sciamma wiederum nennt solchen Lehrerpult-Ansatz „ausgefeilten Filmdialog“), zu sprunghaft wirkt die inszenatorische Struktur. Marieme agiert total nett – zack! – Vic erpreßt eine Mitschülerin – bäng! – die jungen Damen tanzen in einer anrührenden Sequenz zu Rihannas „Diamonds“ – wusch! – großes Keifen unter verfeindeten Girlies … Und mal ganz ehrlich aus Neugier gefragt, liebe Leserinnen: Ist es tatsächlich Fakt oder nur cineastischer Irrglaube, daß ein neuer Abschnitt im Leben einer Frau, wie alt auch immer, stets durch entschlossenen Frisurenwechsel begleitet werden muß?!
So gelingen Sciamma zwar teils Szenen höchster Intensität, gespielt von wundervollen Laiendarstellerinnen, aber sie verschenkt das Erreichte regelmäßig an die verbale letzte Reihe, Montage-Durchhänger – oder Übervorsichtigkeit. Ein gutes Beispiel dafür: der erste Kampf. Natürlich mag sich jeder geistig halbwegs stabil aufgestellte Bürger wenig daran ergötzen, wenn minderjährige Mädels einander wirklich verkacheln. Aber das hier gezeigte rücksichtsvolle Anstupsen, kumpelhafte Knuffen und schließlich theatralische Zu-Boden-Sinken kosten eine kraß gedachte Angelegenheit viel Authentizität. Insgesamt atmet genau jene Sciammas Film zwar dennoch, indes oft aus eher schwächelnden Lungen.
Originaltitel: BANDE DE FILLES
F 2014, 112 min
FSK 12
Verleih: Peripher
Genre: Drama, Erwachsenwerden
Darsteller: Karidja Touré, Assa Sylla
Stab:
Regie: Céline Sciamma
Drehbuch: Céline Sciamma
Kinostart: 26.02.15
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...