Nein, kein Remake von SIE HABEN KNUT, auch wenn die Szenerie verdammt danach aussieht. Der Schauspieler Hannes und seine Verlobte Ann kommen auf die familiäre Berghütte, mitten im Winter – und Überraschung: Sie sind nicht allein. Hannes’ Vater, ein alternder, erfolgloser Theaterregisseur, und seine junge Geliebte sind auch dort. Vorausgegangen ist eine achtjährige Funkstille zwischen Vater und Sohn. Aus gutem Grund. Aber der Vater, dessen größter Schatz seit ewigen Zeiten ein an ihn adressierter Brief von Fassbinder darstellt, behauptet, er sei ein Vulkan, kein Faltengebirge. Sprich: Er verändert sich und wächst. Chance, neu anzuknüpfen?
Über die seelische Gewalt, die wir unseren Nächsten antun, hat Fassbinder ja schon einiges gesagt. Florian Eichinger sperrt in seinem konzentrierten Kammerspiel nun vier zusammen ein, die sich nahe stehen, aber wenig voneinander wissen und manchmal nicht zwischen Schauspielerei und Persönlichkeit unterscheiden können. Jetzt sind sie an einem Punkt, an dem sie doch wissen wollen, woran sie sind.
Eichinger und seiner Crew gelingt es, die Vier zu starken Charakteren auszubauen und zugleich die passende Spannung zu erzeugen. Mit dem dramaturgischen Zwang, irgendwann ein Geheimnis lüften zu müssen, geht der Film offensiv um. Selbst die Figuren tragen dieses Wissen um die bevorstehende Eskalation vor sich her und richten sich auf einer Art Metaebene damit ein. Schließlich kennt man sich im Theatermilieu aus mit Dramen. Auf der Handlungsebene gipfelt das zunächst in einer privaten Spaß-Inszenierung, und damit, daß der Vater als Teufel seinem Sohn ans Bein pinkelt.
Eine Rolle, die übrigens gut paßt zu Peter Kurth, Leipziger Theatergänger kennen ihn noch aus seiner Zeit am hiesigen Schauspiel. Auch mit dabei Anna Brüggemann, die authentisch eine Wirbelsäulenverstauchung spielt und bei ihrer derzeitigen Präsenz bestimmt demnächst mal zum deutschen Shooting-Star gekürt wird. Über ein paar holprige Stellen im Dialog („Wir sind doch verlobt!“) wird geschickt hinweggespielt.
So kann man auch viele internationale Preise gewinnen, nämlich ohne Förderung. In nur zehn Tagen gedreht, da drückt man auch mal ein Auge beim Ton zu. So mancher Satz verliert sich im Alpenpanorama. Eine gelungene bildliche Auflösung entschädigt und holt den Film dann doch immer wieder weg von seiner Bühnennähe.
D 2008, 89 min
Verleih: Bergfest Film
Genre: Drama
Darsteller: Anna Brüggemann, Martin Schleiß, Peter Kurth, Rosalie Thomass
Regie: Florian Eichinger
Kinostart: 09.09.10
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...