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Berlin – Stettin

Poetische Vermessung von Lebenslandschaften – Volker Koepp auf neuer Reise zwischen Elbe und Oder

Zwischen Berlin und Stettin unternimmt Volker Koepp, vertraut mit den Wegen durch die Landschaft des Ostens, eine neuerliche Reise, und wieder spannt er einen weiten Raum auf – für Erinnerungen und Gegenwärtiges, für das Wechselhafte von Schicksalen, für die Zeitläufe der Geschichte. Wiederbegegnungen mit früheren Protagonisten und neue Bekanntschaften sind Stationen dieser Reise, die Montage von Material aus früheren Filmen in das neu Aufgezeichnete bestimmt wesentlich den Rhythmus des Films. So gibt es ein doppeltes Wiedersehen mit den Arbeitern aus der „Märkischen Trilogie“ eine Rückkehr in die Zeit der „Wende“, mit Elsbeth aus dem Wittstock-Zyklus und mit Karin, die Koepp einst als selbstbewußte Schweißerin porträtierte. Das zum Beispiel war 1979.

Man muß diese, jetzt 30 Jahre später „früh“ zu nennenden Arbeiten nicht kennen, um sich einlassen zu können auf diesen neuen Film, der auch ein sehr persönlicher geworden ist. Koepp widmet ihn seiner verstorbenen Mutter Thea, die 1944 mit den Kindern aus Stettin geflohen war. Erstmals bekennt er sich so offen zur Suche nach der eigenen Lebensgeschichte. Am Beginn steht die Begegnung mit Doris Krause, die 2006 an den Filmemacher schrieb. In Broda bei Neubrandenburg, wo sie Thea Koepp und ihre Kinder kennenlernte, erlebte die damals Zehnjährige den Einmarsch der Russen, Vergewaltigungen und Morde. Im Film nun liest sie aus Briefen von damals. Im Berlin der Nachkriegszeit spielt der junge Volker Koepp mit seinen Freunden ein Kinderspiel, genannt „Berlin – Stettin“, und aus jenen Tagen in Karlshorst stammt die Bekanntschaft mit Ursula Panneke. Gemeinsam ist die Erinnerung an die Bilder einer Stadt in Ruinen, an Einschulung und Militärbesatzung, an die Ereignisse des 17. Juni.

Koepp selbst wird damals Zeuge einer Erschießung. Jahre später gerät er selbst in Konflikt mit dem Regime, dort sollte sein Weg zum Dokumentarfilm beginnen, und wieder Jahre später heben sich die beiden titelgebenden Städte als wichtige Lebensorte ins Bewußtsein des Filmemachers. Wieder bewegt er sich durch die Landschaft dazwischen, in Richtung seiner Geburtsstadt, heute Szczecin. Mit diesem, seinem bisher umfassendsten und in jedem Moment lebendigen Geschichtspanorama, mit einem Film, der so klug eigenes mit fremdem Erleben verwebt, rührt Koepp an vielen Emotionen. Thomas Plenerts wie gewohnt herausragende Kameraarbeit darf dabei nicht unerwähnt bleiben. Mit BERLIN – STETTIN ist dem Zuschauer ein weiterer poetischer Dokumentarfilm beider geschenkt.

D 2009, 114 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Volker Koepp
Kamera: Thomas Plenert

Kinostart: 11.03.10

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.