Sie schweben graziös durch Bombays Straßen, tragen prächtige Kleider, Schmuck und Make-up. Man könnte sie für vielleicht etwas zu aufgedonnerte Frauen halten; doch die herben, maskulinen Gesichtszüge passen nicht ins Bild. Sie sind Hijras, biologisch gesehen Männer, denen die primären Sexualorgane genommen wurden.
Diese Wanderer zwischen den Geschlechtern tauchen ungefragt überall auf, um zu betteln, zu segnen, bei Verweigerung finanzieller Zuwendungen allerdings auch zu verfluchen, weshalb die Bevölkerung sie fürchtet. Bombays Männern allerdings dienen Hijras zur sexuellen Befriedigung, Prostitution ist unter ihnen ein probates Mittel zum Überleben. So weit die Tatsachen.
Einer engagierten Fotografin reichte das nicht aus, sie wollte hinter die Fassade schauen. Und obwohl sich ihr privates Sittenbild grundsätzlich auf drei Hijras beschränkt, entfaltet sich doch die ganze Komplexität dieser Gesellschaftsschicht. So hadert Asha mit dem Schicksal, verflucht Gott für ihre Existenz, trinkt zu viel und trauert der einen großen Liebe hinterher. Ganz anders Rambha – sie ist nicht nur mit sich selbst im Reinen, sondern träumt sogar von einer Wiedergeburt als Hijra. Auch die eitle Laxmi liebt ihre Identität sowie Unabhängigkeit, flirtet ungehemmt, redet vulgär und benutzt ausschweifende Gesten, verweigert aber gleichzeitig die Kastration, weil sie lieber ein Doppelleben führen will. Was unter anderem bedeutet, den Eltern aus angeblichem Respekt nichts zu sagen und bei ihnen weiter als Sohn Raju aufzutauchen.
Man könnte zwar mit einigem Recht bemängeln, daß Beweggründe und vor allem Konflikte, denen die drei Repräsentativen unterliegen, manchmal zu kurz angerissen werden. Wie nebenbei wirken zum Beispiel Berichte über Vergewaltigungen. Dennoch schafft es diese Dokumentation, dem hiesigen Zuschauer einen berührenden Blick in fremde (Gefühls-)Welten zu gewähren. Weil man spätestens ganz zum Schluß – wenn Laxmi alias Raju jede Geltungssucht fahren und die psychische Mauer bröckeln läßt – versteht, was ihr zwischendrin wie immer etwas großmäulig hingeworfener Satz "Die Seele ist es, die eine Hijra ausmacht!" wirklich bedeutet.
D/Indien 2005, 94 min
Verleih: Stardust
Genre: Dokumentation, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Anita Khemka, Laxmi, Rhamba, Asha
Regie: Thomas Wartmann
Kinostart: 15.02.07
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...