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Blancanieves

Ohne Worte viel gesagt

Das allseits beliebte Märchen von Schneewittchen als Stummfilm?! Aus Spanien?! Ja, da kratzt man sich vorerst etwas ratlos am Kopf, aber die Skepsis verfliegt schon in der ersten Minute einer Neuinterpretation, die so vieles anders und alles richtig macht. Schneewittchen alias Carmen: ein junges, von Amnesie geplagtes Ding, als Matadorin in die Fußstapfen des Vaters tretend. Dieser vegetiert gelähmt im Herrenhaus der bösen Stiefmutter Encarna dahin, welche wiederum zu SM neigt, der Mode frönt und nicht vor Mord zurückschreckt. Schließlich die sieben Zwerge, eine bunte Truppe kleinwüchsiger Stierkämpfer, zu denen Carmen flüchtet.

Warum sich faktisch alle an diesem Meisterwerk Beteiligten gebückt durchs Leben schlängeln müssen, um nicht vom weltweit niederprasselnden Preisregen getroffen zu werden, ist logisch: Sämtliche Auszeichnungen wurden verdient errungen. Sei es für die manchmal brutalen, immer atemberaubenden Bilder, jedes einzelne eine Sinfonie aus Licht und Schatten, in Farbe unmöglich vorstellbar. Oder die durchweg wunderbaren Darsteller, aus deren Mitte trotzdem Maribel „Encarna“ Verdú herausragt: Wenn dieses an Eiseskälte kaum überbietbare (Verzeihung) Miststück seine verdiente Strafe erhält, keimt fast Mitleid für jenen gequälten Charakter. Zwar, wie erwähnt, nur fast, dennoch eine glänzende Psychostudie – und zwar, freundliche Erinnerung, ohne gesprochene Worte!

Überhaupt wären die sporadisch eingestreuten Texttafeln grundsätzlich gar verzichtbar, man liest in Augen, Gesichtern, fühlt selbst glücklicherweise nicht erklärte Stimmungen und Emotionen, lauscht omnipräsenter, indes immer passender, nie aufdringlicher Musik. Nach Verlassen des Kinosaals, dem berauschten Schweben hinaus, enthüllt die ganz reale Welt ihr häßlichstes Gesicht: zu laut, zu hektisch, zu bunt, zu kalt. Ein Film als magische Reise hin zu anderen Sphären, wann gab es das zuletzt?

Nüchterner zeigt sich allein das Ende. Klar leitet es der berühmte Apfel ein, natürlich führt er zum Koma. Doch der schnittige Prinz auf weißem Roß, er taucht nicht auf. Das grausam-poetische Finale weiß in harter Konsequenz: Wer einen Traummann erwartet, muß mit schmierigen Jahrmarktsbesuchern rechnen. Vielleicht kommt der Erlösungskuß auch nie. Oder eben ... anders. Was Carmen geschieht, darf der Zuschauer individuell entscheiden. Zum Mitweinen stark, die letzte Szene.

Originaltitel: BLANCANIEVES

Spanien/F 2012, 104 min
FSK 12
Verleih: AV Visionen

Genre: Stummfilm, Märchen, Drama

Darsteller: Maribel Verdú, Daniel Giménez Cacho, Ángela Molina, Macarena García, Sofía Oria

Stab:
Regie: Pablo Berger
Drehbuch: Pablo Berger

Kinostart: 28.11.13

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...