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Trauer, pürierte Marmeladenbrötchen und ein Medium

Man sieht Janusz, einem dicklichen Untersuchungsrichter, dabei zu, wie er einen Erhängten inspiziert. Der wird vom Baum geschnitten, plumpst dumpf wie ein nasser Sack zu Boden, dann steht er auf und entschwindet lautlos gen Flußufer. Beim Abendessen knacken dann die fettigen Hühnerknochen gespenstisch, die Janusz sich unter den angewiderten Blicken seiner Tochter Olga in Großaufnahme lieblos in den Mund schiebt. Nach der Besichtigung eines zerstückelten Neugeborenen ißt er dann braun-breiige Pansensuppe. Aber da sitzt Olga schon in der Klinik, vor einem lautstark gemixten, monochromen Püree aus Marmeladenbrötchen, weil sie einen kritischen Punkt in ihrer Eßstörung erreicht hat. Beide schaffen es auf ihre Art nicht, den Tod der Ehefrau und Mutter zu verarbeiten.

Malgorzata Szumowska zieht fast brutal, mit allen filmischen Mitteln, die Analogien zwischen dem Körperlichen und dem Seelischen ihrer Protagonisten und erschafft trotzdem ein sensitives Netz aus Emotionen, die den Betrachter sprachlos machen, ins Bodenlose stürzen und im nächsten Moment trotzdem zum Lachen bringen. Und es wirkt nie etwas abschätzig, bloßstellend oder wirklich eklig. Das ist große Kunst!

Es geht Szumowska ganz offensichtlich um die Auflösung der körperlichen Grenzen. Denn Janusz, der sich eine Schutzschicht angefressen hat, und Olga, die magersüchtige Tochter, sind sich selbst in ihrer Trauer abhanden gekommen. Ihre Körper wirken unbewohnt, seelenlos. Aber zum Glück gibt es Anna. Sie arbeitet mit magersüchtigen Mädchen in der Klinik als Gruppentherapeutin. Zum Unmut des Chefarztes setzt sie dabei Familienaufstellung und Tanz ein. Und auch sonst sieht sich Anna als Medium. Sie erspürt die Schwingungen von Toten und kann Kontakt herstellen. Nun will sie unbedingt Janusz und Olga davon überzeugen, mit Olgas Mutter in Verbindung zu treten. Szumowska überläßt es der Interpretation des Zuschauers, ob diese Verbindung gelingt, und ob Spiritualität helfen kann, seelischen Schmerz zu heilen. Sie zeichnet eine Anna, die ihren kleinen Sohn verloren hat, mit einem absurd großen Hund zusammenlebt, aber offensichtlich die Einzige ist, die diesen ausgemergelten Mädchen etwas zu geben hat.

So schwanken wir letztendlich beharrlich zwischen Unglauben und Hoffnung. Wollen wir doch tief in uns drinnen, daß Janusz und Olga eine Botschaft erhalten. Erlösung finden sie dann im Lachen.

Originaltitel: CIAŁO

Polen 2015, 90 min
FSK 12
Verleih: Peripher

Genre: Drama

Darsteller: Janusz Gajos, Maja Ostaszewska, Justyna Suwała, Ewa Dałkowska

Regie: Malgorzata Szumowska

Kinostart: 29.10.15

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...