Originaltitel: GRÄNS

S/DK 2018, 110 min
FSK 16
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama, Mystery, Thriller

Darsteller: Eva Melander, Eero Milonoff, Jörgen Thorsson, Ann Petrén, Sten Ljunggren

Regie: Ali Abbasi

Kinostart: 11.04.19

16 Bewertungen

Border

Ich rieche was, was Du nicht siehst, und das ist finster

Die denkbar beste Zoll-Mitarbeiterin heißt Tina, wegen eines Chromosomenfehlers äußerlich benachteiligt, parallel mit der Fähigkeit ausgestattet, Angst und Schuld zu riechen, da bleibt kein Schmuggelgut unentdeckt. Außerdem eine ausgesprochene Tierfreundin, nachts schauen Elch und Fuchs vorbei, man kennt einander, mag sich gern. Sonstige Kontakte beschränken sich aufs Nötigste, der demente Vater nennt Tinas Freund „Schmarotzer“, sie spricht vom „netten Kerl“, beide meinen dasselbe, bloß aus unterschiedlichen Betrachtungswinkeln wahrgenommen. Ihrer ist – wie so oft – gestört davon, was andere sagen, glauben, zeigen. Plötzlich taucht Vore auf, gewinnt Tinas Herz. Zwei Außenseiter, sie tragen Narben an identischer Stelle und überlebten jeweils einen Blitzschlag. Wohl kaum eine gängige Junge-trifft-Mädchen-Story …

Es hat selten stärker in den Fingern gejuckt: Sie drängen, wollen raus, die ganzen Worte zur Handlung dieser komplexen, wendungssatten, dem Blick in schwärzeste Tiefen unerschrocken standhaltenden Nachtmahr. Sollen sie auch. Nur nicht jetzt, sondern nach dem Film, die anschließende Diskussion scheint unausweichlich. Kontroverse Ansatzpunkte, erklärende Sollbruchstellen und zum Einnehmen sich neu eröffnender Perspektiven motivierende Entblößungen von Körper und Geist gibt es manche, sie fordern geradezu ihre Entdeckung.

Um an dieser Stelle doch kleine Gucklöcher zu reißen: Animalischem Sex folgt eine Geburt; es kommt etwas auf die Welt und wird nachfolgend im Kühlschrank verwahrt. Sicher nichts übermäßig Freundliches, in seelenloser Unschuld per se trotzdem weit weniger böse als menschliche Abartigkeit, versteckt im spießigen Bretterbudenwohnzimmer aus dem Lagerbestand eines blau-gelben Warenhauses wuchernd, in heimelige Sicherheit gehüllt durchs Wegsehen und -hören der empathieverweigernd straff ums eigene Ich kreisenden Umgebung. Ergo ein Märchen von attraktiven Monstern, denen häßliche Helden kontrastierend Paroli bieten? Welches zwar angewiderten Zorn entzündet, gleichermaßen allerdings leuchtendes Gerechtigkeits-Licht versöhnen läßt? Nun ... nein. Hier erzeugt Haß genauso barbarischen Gegenhaß, da können sich Bilder größter Anmut und sehnsuchtsvoller Magie wie schwerer Samt auf Abgründe senken, ihr finsteres Gähnen rutscht lediglich unter eine hübsch bedeckte Oberfläche – und klafft dort noch ungleich gemeiner.

Tina wittert davon ungeachtet perfekten Geruchssinns vorerst nichts, genießt ungekannte Freiheit sowie echtes Verständnis, erlaubt zunächst zaghafte, schließlich offensive Selbstbestimmung. Weshalb wider besseren anfänglich Ahnens, dann Wissens Hoffnung keimt, man gönnt der Ausgestoßenen jedes Glück, so sehr. Siehe indes oben, extreme Fallhöhen lauern auf sie auslotende Opfer, lauschen wir dazu mal kurz dem Film selbst: „Du wünschst Dir, daß es wahr ist. Wäre schön, aber ...“

Und schieben sofort ein zweites Zitat hinterher, Georges Bernanos’ „Dialogues des Carmélites“ entliehen: „Le malheur, ma fille, n’est pas d’être méprisée, mais seulement de se mépriser soi-même.“ („Das Unglück, meine Tochter, besteht nicht darin, verachtet zu werden, sondern sich selbst zu verachten.“) Tina begreift’s, wählt, durchbricht die Spirale wechselseitiger Grausamkeit zumindest punktuell und bezahlt dafür einen hohen Preis, vielleicht sogar den höchsten, zur Verteidigung ihrer Humanität. Was wiederum schon brutal ironisch anmutet, weil sie ja …

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...