Originaltitel: BOYHOOD

USA 2013, 164 min
FSK 6
Verleih: Universal

Genre: Erwachsenwerden, Poesie, Experimentalfilm

Darsteller: Ellar Coltrane, Lorelei Linklater, Patricia Arquette, Ethan Hawke

Stab:
Regie: Richard Linklater
Drehbuch: Richard Linklater

Kinostart: 05.06.14

29 Bewertungen

Boyhood

Ein Meisterwerk über die Kleinigkeiten für das große Ganze

Boyhood – ein Wort, das so viel faßt, daß wir im Deutschen gleich eine ganze Wortgruppe brauchen, um es zu übersetzen: Kindheit und Jugend eines Jungen. Dazu passend ist Richard Linklaters neues Werk ein Film, der so viel faßt, daß es schwer wird, für ihn überhaupt passende Worte, geschweige denn Kategorien zu finden. Es soll hier dennoch versucht werden, allein schon, um mit dafür zu sorgen, daß möglichst viele Menschen diesen wunderbaren Film sehen.

Also los. BOYHOOD ist ein Film übers Kindsein und übers Erwachsenwerden, über Begegnungen und Abschiede, Liebe und Enttäuschung, Familie und andere Katastrophen, über Bilder, Bibeln, Waffen, Autos und nicht zu vergessen: Menschen. Kurz gesagt: BOYHOOD ist ein Film über das Leben. Auch wenn dies dann doch vielleicht etwas zu allgemein gefaßt klingt und im Grunde beinahe jeder Film wohl zumindest den Anspruch hat, in gewisser Weise übers Leben und Menschsein und so Zeugs zu sein, so schaffen es doch die wenigsten, derart nah ranzukommen, eine solche Lebensnähe zu entwickeln. Letztere ist nicht zu verwechseln mit den Bemühungen all jener Tapetenfilmer, die meinen, man komme der Wirklichkeit besonders nahe, indem man die Langeweile seines eigenen Daseins zum Grundtenor eines Films macht.

Nein, damit hat BOYHOOD nichts gemein. BOYHOOD ist so ziemlich das kurzweiligste und unterhaltsamste Fast-drei-Stunden-Werk, was einem in dieser Lebenszeit unter beziehungsweise vor die Augen kommen dürfte. Und das ganz ohne großen Tobak. Hier wird Momentaufnahme an Momentaufnahme gereiht, und erst am Ende, wenn einem beim Abspann die Tränen kommen, merkt man, welch’ wirklich Großem man beigewohnt hat.

Daß Richard Linklater ein Händchen dafür besitzt, die emotionalen Berg-und Talfahrten von Heranwachsenden auf Film zu bannen, ist keine Überraschung. Bereits mit seinen beiden ersten Filmen SLACKER und DAZED AND CONFUSED schuf Linklater Generationenporträts, die ihre Verständigkeit für den Zustand desorientierter Heranreifender bereits im Titel und viel mehr noch in den vielen großartigen Szenen trugen, die allesamt jeden, der seine Jugend nicht komplett verdrängt oder ein Herz aus Steuererklärungsordnern hat, direkt in seine eigene wirre Selbstfindungsphase zurückkatapultieren. Was für eine glückliche Fügung, daß Linklater nach dem Abschluß seiner BEFORE-Trilogie den Kreis schließt und zum Porträt einer Jugend zurückkehrt. Um einige Jahrzehnte gereift und mit dem lockeren Händchen eines Mannes, der nur noch wenig zu beweisen hat und es hiermit für alle tut.

Dafür ist Linklater ein gehöriges Risiko eingegangen, denn das Konzept, einen Film etappenweise über zwölf Jahre mit gleichbleibenden Darstellern zu drehen, hätte auch komplett in die Hose gehen können. Es ist äußerst erbaulich, daß sich in diesem Fall der Mut der Macher und Darsteller dermaßen auszahlt. Patricia Arquette und Ethan Hawke glänzen als getrennt lebendes Elternpaar, das zunehmend in die Jahre kommt, aber dennoch herzerwärmend wenig lebensweise bleibt. Linklaters Tochter Lorelei hatte es sicher nicht leicht, für Papas Herzensprojekt dauerverfügbar zu sein, nun darf sie zu Recht den Ruhm ernten. Letztendlich steht und fällt aber alles mit dem Jungen im Zentrum, dessen Lebensreise von der Vorschule bis zum ersten Collegetag wir begleiten dürfen: Mason alias Ellar Coltrane. Völlig egal, ob Ellar nun zum Shooting Star aufsteigt oder ins „normale Leben“ zurückgeworfen wird, diese Rolle hat jetzt schon sein Leben geprägt –und unseres gleich mit. Let The Moment Seize You. Nur im Kino.

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...