Der Dichter und Filmemacher Thomas Brasch war ein Mensch der Extreme. Aufgewachsen als Sohn eines Kulturfunktionärs in der DDR, führte er ein Leben auf dem Drahtseil zwischen beiden Teilen Deutschlands, das tatsächlich „filmreif“ war.
Brasch war schon früh in der DDR künstlerisch und politisch aktiv, seine Texte wurden in der Untergrundpresse veröffentlicht und waren in der Künstlerszene legendär, bis ihn sein eigener Vater an die Stasi verriet. Als er die DDR schließlich 1976 verließ, galt er als verkanntes Ausnahmetalent, veröffentlichte in der BRD in schneller Folge mehrere Bücher, Theaterstücke und Filme, wurde vom Feuilleton gefeiert und verehrt, obwohl – oder gerade weil – er seinen Außenseiterstatus nie aufgab. Brasch bezeichnete sich auch 1987 noch als „Bürger der DDR“, wollte sich vom Westen nicht einverleiben lassen. Als die Mauer fiel, brach sein Koordinatensystem zusammen, und er versank im Chaos von Depression, Schaffenskrise und Drogen.
Obwohl allein die Aneinanderreihung der Fakten ein Drehbuch voller überraschender dramaturgischer Wendungen ergäbe, wäre eine klassische dokumentarische Hommage wohl der schlechteste Weg gewesen, sich der Person Braschs zu nähern. Glücklicherweise ist dieser Film alles andere als klassisch, sondern erscheint eher wie ein rohes, sperriges Dokument eines Getriebenen. Das liegt vor allem daran, daß Brasch selbst einen Teil des Materials gedreht hat. Er hat sein Leben und sein Hadern mit sich jahrelang mit der Kamera dokumentiert, hat alles gefilmt von Telefonaten über Drogenexzesse, Selbstgespräche, die chaotischen Zustände in seiner Wohnung und sein eigenes Spiegelbild – das Filmen war für ihn eine Maßnahme der Selbstvergewisserung.
Aus diesem reichen, wilden Fundus schöpft der Regisseur Christoph Rüter und schafft so – vor allem durch die Gruppierung der Brasch-schen Videotapes mit eigenen und fremden Archivaufnahmen – ein psychologisches Kaleidoskop eines widersprüchlichen und widerborstigen „Intensivtäters“ auf der Suche nach sich selbst. Mancher filmischen Metapher (Spieglein, Spieglein an der Wand), der sich Rüter im Zuge seiner Montage bedient, hätte es dabei nicht bedurft – Brasch selbst ist allerdings anarchisch genug, um diese leicht artifizielle Spielerei vergessen zu lassen.
D 2011, 95 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation, Biographie
Regie: Christoph Rüter
Kinostart: 03.11.11
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.