Thomas Riedelsheimer hat ein Faible für KünstlerInnen, die unsere Wahrnehmung der Welt erweitern. Als er vor zwölf Jahren in RIVERS AND TIDES den Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy und dessen vergängliche Naturkunst in bleibende Bilder übersetzte, wurde der Film von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen. Mit TOUCH THE SOUND folgte in 2004 das eindrückliche Porträt der gehörlosen Musikerin Evelyn Glennie. Thomas Riedelsheimers Stärke ist es, dem Publikum nicht nur diese beeindruckenden KünstlerInnen vorzustellen, sondern durch seinen eigenen (film-)künstlerischen Blick auch neue, ungeahnte Perspektiven auf sie zu ermöglichen.
Mit seinem aktuellen Dokumentarfilm BREATHING EARTH versucht er sich erneut an einem Künstlerporträt. An die außergewöhnliche filmische Kraft der beiden Vorgängerfilme reicht das Porträt des japanischen Künstlers Susumu Shingu allerdings nicht ganz heran. Der 70jährige Susumu arbeitet vor allem mit Wind und Wasser und entwirft Skulpturen, die die verborgenen Kräfte dieser Elemente sichtbar machen. Seine Arbeiten erinnern an die Maschinen, Drachen und Gefährte, die Kinder gern aus gefundenen Materialien bauen. Im ersten Drittel des Films erscheint Susumu auch wirklich wie ein kindlicher Träumer, der mit den „Hard Facts“ des Kunstbetriebs kaum kompatibel sein dürfte.
Das stellt sich im Verlauf des Films als Trugschluß heraus, wenn auch die andere Seite Susumus sichtbar wird. Für sein seit vielen Jahren geplantes Mammutprojekt „Breathing Earth“, ein sich selbst versorgendes Künstlerdorf, tritt er als geschickter Stratege auf, der versiert und professionell mit Geldgebern verhandelt und auch in langwierigen Besprechungen, in denen weniger die visionäre Kraft der Kunst als die vielfältigen Beharrungskräfte der Bürokratie spürbar werden, seine Rolle spielt.
Am Ende des Films scheint Susumu vor allem damit beschäftigt zu sein, seine große, künstlerische Vision in handhabbare Happen zu verpacken, um sie verwirklichen zu können. Und obwohl er diese Aufgabe mit bewunderungswürdiger Gelassenheit absolviert, hätte man ihm doch lieber noch ein wenig dabei zugesehen, wie er Wind und Wasserkraft in Kunst übersetzt.
D 2012, 93 min
FSK 0
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation, Biographie
Stab:
Regie: Thomas Riedelsheimer
Drehbuch: Thomas Riedelsheimer
Kamera: Thomas Riedelsheimer
Kinostart: 27.12.12
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.