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Caché

Verdrängte Bilder, versteckte Kamera - Haneke gibt dem Gewissen Augen

Die "emotionale Vergletscherung" oder die "Hypermedialisierung" der Gesellschaft sind seit Jahren die fast unvermeidlichen Geleitworte, mit denen Michael Hanekes Filme dem Publikum weniger ans Herz gelegt als vielmehr vorsichtig an die Hand gegeben werden. So sehr sie aber an die zeitkritische Natur seiner Arbeiten rühren mögen, so wenig fassen sie ihre ungeheure Angriffslust. Ungebremst bekam man die in FUNNY GAMES zu spüren, jenem gar nicht lustigen Mitmachspiel um die Lust an gefilmter Gewalt.

Der satte, behaglich eingerichtete Bild- und Textkonsument, dem Fiktion wie Wirklichkeit gleichermaßen leicht die Kehle hinunterlaufen, ist dabei nicht nur Hanekes ausgemachter Lieblingsfeind, sondern manchmal, in BENNYS VIDEO zum Beispiel, auch sein Gegenstand. Auf ungewöhnliche Weise ist nun CACHÉ der erneute Versuch, den Bildern ihre Irritationskraft zurückzugeben. Der starre Blick auf ein Haus in Paris - parkende Autos, Passanten, Bewohner - bildet die Exposition für einen beklemmenden Thriller, in dem ein zurückgelehnter und beherrschter Mann aus gleich zwei Perspektiven bis auf die Knochen entblößt wird.

Sichtlich verunsichert sieht sich der Literaturkritiker Georges Laurent die Videoaufnahme seines Hauses an, die ihm ein Unbekannter zuspielte. Weitere Bänder folgen - von Tagen und Nächten vor seiner Tür, vom Bauernhof, auf dem er aufwuchs, von einer fremden Wohnung in einem Pariser Ghetto. Kindliche Kritzeleien liegen ihnen bei, auf denen man einen Jungen mit blutigem Mund erkennt. Ein verrückter Fan, mutmaßt Anne, die einstweilen noch recht gefaßte Ehefrau. Ein Erpressungsversuch vielleicht. Aber ohne Forderungen? Und Erpressung womit? Annes Nachfragen werden lauter und verzweifelter, besonders, als der gemeinsame Sohn plötzlich verschwunden ist. Antworten bekommt sie nicht, denn Georges hat nichts zu verbergen, wie er sagt.

Wie lange man ihm das glauben mag, ist letztlich eine Sache des guten oder bösen Willens. Das Mißtrauen jedenfalls läßt sich nicht mehr abschalten, nicht verlangsamen oder zurückspulen. Denn Georges folgt den Spuren, die ihm der Unbekannte legt, wie eine Marionette dem Puppenspieler, wie ein ertappter Verbrecher dem Kommissar. Sie führen ihn zum Bauernhof der Eltern, zum Algerier Majid in dessen ärmliche Sozialwohnung - und schließlich zu einer gut verdrängten, restlos verdaut geglaubten Grausamkeit aus Kindertagen.

Zum bedrohlichen, gereizten Unterton des Algerien-Traumas der Grande Nation, der stillen, so sehr gefürchteten Wut ihrer "ungebetenen" Gäste zerrt Haneke am Nervenkostüm seiner fast modellhaften französischen Mittelstandsfamilie. Die luzide, ganz unmittelbar einleuchtende Konstruktion aus einem heimlichen und einem legitimen Beobachter ist nun die Fußangel, mit der jede Kameraeinstellung zur Falle wird. Es scheint, als habe Haneke dabei im aufreibenden Dialog mit einem unbekannten Regiekollegen gestanden, der hier aus dem Versteck eigene Bilder produziert - nennen wir ihn der Einfachheit halber "das schlechte Gewissen". Mit der ausgestellten visuellen Klarheit und Nüchternheit, bestimmend für beide Perspektiven, formuliert Haneke nicht zuletzt eine aufregende Antithese zur Verspieltheit anderer Filmvirtuosen. Der Schlüssel zum Geheimnis liegt sozusagen offen auf dem Tisch. Aber das wird wohl nicht helfen - gegen den Schock, gegen diese eine Szene, der man völlig unvorbereitet ausgesetzt ist.

Originaltitel: CACHÉ

F/Österreich/I/D 2005, 117 min
Verleih: Prokino

Genre: Thriller, Psycho, Drama

Darsteller: Daniel Auteuil, Juliette Binoche, Annie Girardot, Maurice Bénichou, Walid Afkir

Stab:
Regie: Michael Haneke
Drehbuch: Michael Haneke

Kinostart: 26.01.06

[ Sylvia Görke ]