Es ist dieses aristokratisch geschnittene Gesicht. Und der Mund, welcher eine nach durchzechter Nacht, Zigarren und perlendem Schweiß klingende Stimme beherbergt. Oder doch die zugleich fragile und starke Erscheinung? Ja, was macht eigentlich Patricia Clarksons Zauber aus?! Sicher ein Mix aus allem plus der Tatsache, wie wenig Clarkson braucht, um die von ihr eben nicht nur gespielten Rollen lebendig wirken zu lassen. Wie hier: Sie ist Juliette, Frau eines UN-Botschafters namens Mark, und nach Kairo gereist, um ihn zu besuchen. Doch – kaum neu für Juliette – Mark hat keine Zeit und schickt seinen Ex-Kollegen Tareq, der sich um die in mehrerlei Hinsicht einsame Dame kümmern soll. Was er tun wird; allerdings zu gut, denn nach und nach entsteht etwas über die Reisebegleitung Hinausgehendes ...
Wobei Regisseurin Ruba Nadda sich als Kennerin der stillen Szene erweist, indem sie den Gatten weitestgehend ausblendet, Clarkson fast im Alleingang die Aufgabe anvertraut, Sehnsüchte und Vernachlässigung zu vermitteln. Mit dieser Traurigkeit schon zu Beginn. Über Erzählungen von Kindern, lange aus dem Haus und ihr entglitten. Manchmal auch bloß durch das Zucken einer Augenbraue. Und doch gerät Juliette nie zum Abziehbild des Heimchens, da brodeln Gefühle, sie klammert sich an die gemeinsame Zeit, setzt außerdem Tareqs kühler Sicht auf sein Land geradezu naiven Idealismus entgegen – und erkennt, wie die Situation wirklich aussieht.
Erneut zeigt Nadda größtes Einfühlungsvermögen, inszeniert beidseitig gepflegte Klischees als verbalen Schlagabtausch und nutzt die Vergangenheit ihrer Protagonisten, um deren Gefühlslage zu beleuchten. Aber ohne weitschweifig zu erklären, was einen so wichtigen Unterschied macht. Nadda gelingt es, unter Einsatz nur zweier – und das muß man doppelt betonen: brillanter – Darsteller gleichzeitig eine facettenreiche Liebeserklärung an Kairo, das kulturelle Erwachen dieser westlich geprägten Juliette sowie eine berührende Zuneigungsgeschichte zu verknüpfen, insgesamt einen Film zu drehen, welcher im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen den Inhalt über die Form stellt. Ein seltenes Glanzstück.
Kurz vor Schluß ist es dann schließlich noch mal im Lift zu sehen: besagtes Gesicht, in dem ein fremdbestimmtes Leben aufglüht, flackert und vergeht. Wie die sprichwörtlich an beiden Enden brennende Kerze. Pure Clarkson-Magie.
Originaltitel: CAIRO TIME
Kanada/Irland/Ägypten 2009, 88 min
FSK 6
Verleih: Alamode
Genre: Liebe, Poesie, Drama
Darsteller: Patricia Clarkson, Alexander Siddig, Elena Anaya
Stab:
Regie: Ruba Nadda
Drehbuch: Ruba Nadda
Kinostart: 01.09.11
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...