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Camille – Verliebt nochmal!

Übers Andersmachenwollen, Mutti-Retten und Gelassenbleiben

Nein, für Erbsenzähler ist diese hinreißende Zeitreise nicht gedacht. Man hört sie schon, all die Korinthenkacker: Warum hängt da Madonnas „True Blue“ im Jugendzimmer der 15jährigen Camille, wieso trällern Bananarama ihr „Venus“ in der Disse? Ja, brav aufgepaßt, das paßt alles nicht ganz perfekt, die erwähnte Musik ist von ’86, die Mittvierzigerin Camille aber schlägt nach einem komatösen Saufgelage urplötzlich im Jahr 1985 auf. Ja, mein Gott, ist doch wurscht und mit Sicherheit von Noémie Lvovsky so gedacht, denn schließlich erklingt auch Asaf Avidans Jetztzeithit „One Day“ aus dem Ghettoblaster Und außerdem ist es ein ganz adäquates Mittel, um Gefühle, Zeiten und Erinnerungen, die eh trügerisch sind, durcheinander zu puzzeln. Doch der Reihe nach, worum geht es eigentlich?

Also: Camille ist wieder Teenie, ihre Eltern holen sie aus dem Krankenhaus ab, sie reibt sich die Augen – Mama lebt also noch? Das Zurückkatapultieren in die Jugend birgt durchaus Komisches, etwa, wenn sie ihren Eltern versichert, wie gut sie doch aussehen, die einfachen Leute indes nur den Kopf schütteln und nicht mehr übrig haben als: „Krieg Dich wieder ein!“ Für Camille geht es also wieder los – der ganze Wahnsinn mit Camus in der Schule, den grünen Leggins zum Ballonrock, dem ungelenken Knutschen und dem Ersttermin beim Frauenarzt. Dem Camilles Mutter übrigens einen beim Psychiater hinterherschieben möchte. Was nicht verwundert, denn natürlich benimmt sich Camille in den Augen anderer schräg, sie kennt das alles ja schon. Für den Zuschauer ist es auch optisch ein schräges Vergnügen, weil Lvovsky, die auch die Hauptrolle spielt, Camille 1985 keinen Tag jünger aussehen läßt als 2012.

Das Besondere an diesem intelligenten Spaß ist aber, daß es kaum um ein filmisch ja eben nicht zum ersten Mal erprobtes Déjà-vu geht, Camille hat klare Missionen: Mama darf nicht sterben, und die Beziehung zu Eric muß anders starten, denn schließlich hat er, wie sie dem da noch ahnungslosen Jungen gleich an den Kopf knallt, in den kommenden 25 Ehejahren ihr Leben ruiniert. CAMILLE funktioniert auf mehreren Ebenen. Zauberhaft wird vom Flair der Jugend erzählt, man taucht in den Widerstand gegen die Lehrer ein und in die obskure Welt des Schülertheaters. Auf philosophischerer Ebene wird vom ewigen Wunsch parliert, Geschehenes wieder gut- oder zumindest besser zu machen. Das inkludiert den herzrührenden Versuch Camilles, Mama nicht so früh an einem Aneurysma sterben zu lassen. Das gemeinsame brüchige Einsummen von Barbaras „Dis, quand viendras-tu?“ bewegt und ist genau einer der Momente, die eine austarierte Komödie braucht. Lvovsky hat sich schöne Ideen auf den Leib geschrieben, etwa, wenn sie mit einem Jüngelchen Sex hat, zuerst dessen weiche Haut lobt, dann seinen Hintern beschwärmt, und die Nummer schließlich doch ziemlich krachen gehen läßt.

CAMILLE ist französisches Kino in Reinnatur: Kleines wird klug nuanciert, Großes wird mit lässiger Beiläufigkeit erzählt. Ohne Verklärung, ohne Betulichkeit wird vom Mut, etwas zu verändern, und von der Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, erzählt. Welch’ wunderbare Träumerei: raus aus einer brüchigen Ehe, der Eric angegammelte Stimmung attestiert, zurück und hinein in die Zeit, in der alles so unfaßbar leicht in einem und so untragbar schwer im anderen Moment scheint. So, als zerspränge es einem das Herz, wie es die 15jährige selbst formuliert. Vor dem Zeitensprung saß Camille im Bus mit Augenringen, Wackelmann und Naßfrisur. Zum Ende hat sie ihr Mädchenlachen wieder. Pas mal!

Originaltitel: CAMILLE REDOUBLE

F 2012, 115 min
FSK 12
Verleih: Movienet

Genre: Tragikomödie, Fantasy

Darsteller: Noémie Lvovsky, Yolande Moreau, Denis Podalydès, Mathieu Amalric

Regie: Noémie Lvovsky

Kinostart: 15.08.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.