Originaltitel: CAROL

GB/USA 2015, 118 min
FSK 6
Verleih: DCM

Genre: Drama, Liebe, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Jake Lacy

Regie: Todd Haynes

Kinostart: 17.12.15

12 Bewertungen

Carol

Frauenliebe als darstellerischer Meilenstein

Todd Haynes, dessen DEM HIMMEL SO FERN zu Recht unter Ehrungen geradezu begraben wurde, hat’s wieder getan: Genialität bewiesen. Allein der Beginn! Am Tresen von Therese, einem eher verhuschten, ungeküßten Verkäuferinnenmäuschen, steht unvermittelt Carol, höchst mondän, um einiges älter. Die hingebungsvolle Mutter und unglückliche Gattin erwirbt eine Spielzeugeisenbahn, stellt dann lächelnd die Frage: „Shall I Pay Now?“ Sie soll – am besten mit Haut und Haar.

Zum zweiten Mal verortet Haynes die Handlung in den 50ern, erneut geht’s um stigmatisierte Liebe, indes löst sich der Mann konsequent vom Douglas-Sirk-Reminiszenz-Chic. Bewegungsschwer beobachtet die Kamera, scheint oft lauernd, was zum Umfeld jener erblühenden Zuneigung paßt. Zwei Frauen, Gift und Galle! Eine Ehebrecherin überdies, pfui Teufel! Entzieht dem Miststück das Kind, therapiert die Kranke! Trotzdem verliert Haynes an keiner Stelle seine Ruhe oder verrät die sehnsüchtige Stille, dramatische Wendungen bilden hier und dort zwar trefflich zugespitzte gesellschaftskritische Eckpunkte, ihn interessiert ungeachtet dessen allerdings universaler, ob eine Beziehung bestehen kann, wenn die partnerschaftlichen Voraussetzungen zumindest schwierig scheinen. Denn während Therese ziellos auf existentiellen Wellen schippert, folgt Carol anerzogenem Regelwerk und denkt selbstverständlich daran, vor Telefonaten den Ohrring abzulegen. Paßt das zusammen? Haynes, Pathologe menschlicher Befindlichkeiten, obduziert so straff wie sanft.

Und zwei einzigartige Aktricen dominieren jede Szene: Rooney Mara überrascht nicht bloß durch ungekannte Niedlichkeit, sondern verleiht Therese außerdem eine Unschuld, welche ihr der Hollywoodapparat schon lange geraubt haben dürfte. Dabei wirkt Therese’ eigenbestimmtes Erwachen nirgends aufgesetzt oder gemimt, sondern gehört zum Glaubwürdigsten, was seit langer Kino-Zeit zu sehen war. Trotzdem gelingt es Cate Blanchett, diese Darbietung im Direktvergleich zu übertrumpfen; ganz einfach, indem sie scheinbar fast nichts tut. Statuesk geschnittene Kleider, kühler Porzellanteint, knallroter Mund – optisch erinnert Blanchetts Carol an eine aufgerüschte Puppe, eine abweisend glatte Marmorskulptur, doch hinter der bis auf wenige Momente stets kontrollierten Fassade brodeln heftige Gefühle, Blanchetts minimale Mimik deutet Emotionsuniversen an, blitzende Augen substituieren verbotene Ausbrüche, und sie arbeitet nebenbei geradezu lehrbuchhaft heraus, wie großartige Darstellung gleichermaßen von Klangmalerei lebt: Kommt es zwischen Carol und Therese zur Annäherung, sinkt Blanchetts aristokratisch-beherrschte (Original-)Stimme stets eine Nuance tiefer, verführerisch lockt samtiges Timbre, parallel klirrt ein Hauch dominanter Strenge. Atemberaubend, meisterhaft, unbedingt hörenswert.

Am Ende besinnen sich Drehbuch und Regie darauf, irgendwann mittendrin beiläufig den regelmäßig geschlossenen Kreis erwähnt zu haben, worauf das entsprechende Prinzip zweifach umgesetzt wird. Einerseits ganz nüchtern, aus inszenatorischer Sicht. Andererseits aber auch, weil Haynes einen Bogen zu DEM HIMMEL SO FERN schlägt, wie einst ein wortloses Finale wählt, nach Julianne Moore nun auf die Brillanz des Duos Blanchett/Mara vertraut und zum Abschluß lediglich einen (Doppel-)Blick flammen läßt. Daß dieser noch verzehrender, herzrasender, beredter ausfällt, schreibt ohne Zweifel Schauspielgeschichte.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...