Der "deutsche" Titel paßt in einem ersten Gedanken nicht exakt auf diese filmische Meistertat. Der Angèle-Durand-Gassenhauer - durch die Interpretation von Manhattan Transfer zu Weltruhm gelangt - ist in dem üppig mit Gassenhauern bestückten Film nicht zu hören. Der Titel lenkt in seiner Gefälligkeit von dem ab, worum es in der taktsicheren Studie geht: um einen Mann in den vielzitierten besten Jahren, um einen traditionsreichen Beruf, der das ganz große Gefühl nicht nur vorgaukelt - wenn man denn Einsamkeit zu den ganz großen Gefühlen zählen mag.
Alain Moreau ist Unterhalter, ein durch die Provinz reisender Barde, ein Troubadour, ein fliegender Händler des Schmuses, ein Kaufmann der Emotionen. Er ist ein Tingler, der wie in den guten alten Zeiten noch immer mit Orchester auftritt. Überall dort nämlich, wo es noch mal richtig knistern soll: in Altenstiften, piefigen Casinos, vom Zahn der Zeit angenagten Musettes und Diskotheken. Er interpretiert die Chansons derer, die es aus dem Mief auf die großen Bühnen geschafft haben. Er tätschelt Hände, wirft alten Damen Küsse auf die welken Lippen, er dreht sich, einen Schritt vor, einen halben zurück. Manchmal kniet er auch, wenn es die schwindelerregend schmachtende Lyrik erfordert. Nur das dann Wieder-in-den-Stand-Kommen wird schwieriger, mit den Jahren, mit den enger werdenden Seidenjackets, mit den zum Bersten gespannten Glanzhemden. Doch Alain kommt noch mal zu neuem Schwung. Durch? Mais oui!, eine rätselhafte, in ihrer Mädchenhaftigkeit bezirzende Frau: Marion, die sich in einer Mischung aus Ablehnung, Neugier und noch nicht zu benennendem Gefühl für den Charmeur interessiert. Ein bißchen Geschäftssinn ist auch dabei, verkauft sie doch Häuser, sucht Alain doch eins, vielleicht. Als Marion ihm ein Haus zeigt, spricht er pausenlos von seiner Karriere ...
Eine ungewöhnliche Begegnung, ein brillantes Ensemble aus der jungen Cécile de France und dem schwergewichtigen Zahnfleischmimen Depardieu, der endlich wieder zeigt, was sich in den vergangenen Jahren einer geduldraubenden Polterei unterordnen mußte: uneitle Schauspielkunst. Zwischen Marion und Alain wird vieles ungeklärt bleiben, sie werden sich die Finger in die Wunden pressen, aber sie werden intime Momente teilen: einer ist es, als sie dem alten Herzensschöner die Haare färbt. Strähnchen natürlich ... Dieser mit ruhigem Stift gezeichnete Film lädt neben einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zu einem Ausflug in ein Schattenreich ein, das schwer zu beschreiben ist, weil es sich über in melodischen Text gemeißelte Behauptungen, Sehnsüchte, Unsicherheiten, Erbärmlichkeiten, Ängste, einen bröseligen Narzißmus und eine nun mehr nur noch in Perrier zu ersaufende Schwermut definiert. Lassen wir ein Gefühl dieses Schattenreich beschreiben, und nennen wir dieses das Dalida-Aznavour-Laforet-François-Iglesias-Gefühl.
Dieses Gefühl trifft Depardieu in seinen verblüffenden Interpretationen exakt, er spielt es auf den Punkt. Dadurch macht er Moreau zu dem, was er durch dieses Leben auf den Landstraßen geworden ist: ein gelebter Schlager. Und da paßt der "deutsche" Titel in seiner Ambivalenz dann doch perfekt.
Originaltitel: QUAND J’ETAIS CHANTEUR
F 2006, 112 min
Verleih: Prokino
Genre: Drama, Liebe, Musik
Darsteller: Gérard Depardieu, Cécile de France, Mathieu Amalric
Regie: Xavier Giannoli
Kinostart: 18.01.07
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.