D 2019, 86 min
FSK 0
Verleih: Missing Films

Genre: Dokumentation, Biographie, Historie

Regie: Nicola Alice Hens

Kinostart: 17.09.20

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Chichinette

Spionin aus Versehen

Marthe Hoffnung Cohn ist heute unglaubliche 100 Jahre alt, und trotzdem versprüht die grazile, kleine Frau mit dem weißen Bubikopf mehr Schalk und Energie als manch’ viele Jahrzehnte jüngerer Zeitgenosse. Mit ihrem Charisma zieht sie die Zuschauer sofort in ihren Bann. Seit 20 Jahren reist sie um die Welt, um ihre unglaubliche Geschichte zu erzählen: Von einer jungen französischen Jüdin, die in den letzten Kriegstagen wichtige militärische Geheimnisse der Wehrmacht an die Alliierten übermitteln konnte. Immer angetrieben von dem Gedanken, daß sie einer der letzten Menschen ist, die noch persönlich Zeugnis ablegen können von dieser Zeit.

Nicola Alice Hens dokumentiert diesen außergewöhnlichen Lebensweg in ihrem berührenden Film CHICHINETTE. Dabei läßt sie sich anfangs recht viel Zeit. Es dominieren beobachtende Bilder der Vortragsreisen von Marthe mit ihrem stillen Ehemann Major, der liebevoll auf jeder Station die zahlreichen Medaillen seiner Frau ausbreitet. Diese etwas redundanten Situationen treten zurück, als das Paar in Marthes Heimatstadt Metz ankommt und Familienangehörige aufsucht. 

Die Geister der Vergangenheit steigen empor: Marthe wächst mit zahlreichen Geschwistern behütet in einer deutschsprachigen, jüdischen Familie auf. Mit der Okkupation Frankreichs durch Deutschland ist das Glück vorbei, die Familie muß unter dramatischen Umständen fliehen. Marthe und ihre Schwester verhelfen auch anderen zur Flucht. Diesen Mut zum Widerstand wird Stephanie letztlich mit dem Leben bezahlen, ebenso wie Marthes Verlobter Jacques. 

Umsicht, Gewitztheit und Glück lassen die junge Französin die Besatzungszeit überstehen. Die Résistance, der sie sich anschließen will, nimmt sie allerdings nicht ernst, so landet Marthe schließlich in der französischen Armee. Durch Zufall entdeckt ein Vorgesetzter ihre perfekte Zweisprachigkeit, und die junge Frau wird in den Militär-Geheimdienst aufgenommen. Dort bekommt sie wegen ihrer ständigen Nachfragen und Verbesserungsvorschläge den Spitznamen Chichinette, kleine Nervensäge, verpaßt. 

Wie in jedem Spionagethriller steigt auch hier die Spannung zum Schluß enorm an. Hens greift auf subtile Animationsszenen und atmosphärische Naturaufnahmen zurück, um die visuellen Lücken in der Erzählung zu füllen. So bleibt genug Raum für das eigene Kopfkino. Die Geschichte von Chichinette wird man so schnell nicht wieder vergessen.

[ Dörthe Gromes ]