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Chiko

Scorsese in Hamburg?

Auf der diesjährigen Berlinale löste der Panorama-Beitrag CHIKO heiße Diskussionen aus; teilweise wurden dann auch gleich Parallelen zu amerikanischen Gangster-Epen gezogen. Besonderes Lob fuhr im Falle positiver Berichterstattung die vorgebliche Authentizität des Werkes ein – nehmen wir also mangels eigener Erfahrungen tatsächlich an, in Hamburg existiere ein Ghetto, beherrscht von Rauschgift und Kriminalität.

Weiterhin müssen wir nach Sichtung des kontroversen Dramas allerdings fraglos akzeptieren, daß man in diesem düsteren Teil der Waterkant ungefähr so redet: "Ey Alter, alles klar?! Weißt du, der Spacko da hat verkackten Streß gemacht, der wollte mich abdissen. Scheiße, Alter, die Fotze hab’ ich aber korrekt gefickt, der Assi ist durch, der schwult nicht mehr rum!" Norddeutschland scheint wohl ein ziemlich rauhes Pflaster zu sein. Nun, zumindest erinnert die Handlung ein wenig an US-Vorbilder: Chiko und Tibet wollen ganz nach oben. Zu diesem Zweck lassen sie sich mit dem Dealer Brownie ein, verkaufen Stoff en masse und mischen die lokale Drogenszene richtig auf. Frauen, Macht, Geld, Respekt – jeder Traum rückt in greifbare Nähe. Doch der zu zahlende Preis ist hoch, denn bald dominieren Brutalität und Racheakte.

Dummerweise gehören zur – um beim Stichwort zu bleiben – authentischen Figurenzeichnung aber Entwicklung und Hintergründe, zwei unabdingbare Prämissen, welche hier kaum bis nirgends zu finden sind. Man erfährt rein gar nichts über die Protagonisten, ihr Vorleben, womit das wichtige individuelle Fundament einfach wegbricht. Auch in Sachen Inszenierung kann bloß dann von Realismus gesprochen werden, wenn dieser bedeutet, daß wichtige Szenen mit wackeligen Handkamerabildern eingefangen werden, während die gezeigte Gewalt für deutsche Kino-Verhältnisse ein neues Level erreicht.

Zum Soundtrack brechender Knochen steigert sich die Handlung immer mehr in blutige Eruptionen hinein, bis am Ende so ziemlich alle Protagonisten das Zeitliche gesegnet haben. Daß man die pseudocoole Sprache mit zunehmender Laufzeit dabei auch als echt im Sinne von "echt enervierend" empfinden kann, fällt angesichts des generellen "Was soll das Ganze?"-Gefühls schon gar nicht mehr ins Gewicht.

D 2007, 92 min
Verleih: Falcom

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Denis Moschitto, Volkan Özcan, Moritz Bleibtreu, Fahri Ogün Yardim, Reyhan Sahin

Stab:
Regie: Özgür Yildirim
Drehbuch: Özgür Yildirim
Produktion: Faith Akin

Kinostart: 26.06.08

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...