Was genau hat den Kommunismus in seinem Lauf tatsächlich aufgehalten? Nun, Ochs und Esel waren es wohl nicht. Über alle anderen möglichen Ursachen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Und so bleibt das Nachdenken über den Zusammenbruch eines eigentlich für die süße Ewigkeit gedachten politischen Systems bis auf weiteres ein weites Feld für Spekulationen. Auf diesem ist Ilinca Calugareanu, britische Filmemacherin mit rumänischen Wurzeln, unterwegs und findet ein Deutungsmodell, das vielleicht nicht allen Nachfragen standhält, aber ganz sicher zu den schillerndsten seiner Art gehört – schon weil es Hollywood eine Hauptrolle zuweist.
Ihr Dokumentarfilm führt zurück ins Rumänien der 80er Jahre, genauer: in die Wohnungen seiner Bevölkerung, in denen sich plötzlich Fenster zur kapitalistischen Welt auftaten. Denn auf seltsamen Wegen war der Videorekorder ins Land gekommen, hatte die VHS-Kassette und mit ihr den Westfilm eingeschmuggelt. In konspirativen Sitzungen traf man sich zum Stelldichein mit den Leinwandhelden der „Anderen“, träumte sich in Dschungelkämpfe, Liebesromanzen, volle Läden und leere Sprüche, schmucke Inneneinrichtungen und dreckige Martial-Arts-Settings. Und man gewöhnte sich daran, daß Chuck Norris, Julia Roberts und Jean-Claude Van Damme quasi mit einer Stimme sprachen. Die gehörte zu Irina Nistor, die in halblegalen Hinterzimmern nahezu sämtliche dieser Filme fürs heimische Publikum einflüsterte und – glaubt man den von Calugareanu befragten Zeitzeugen – neben Ceaucescus Reden den National-Sound dieser Jahre prägte.
Calugareanu hört ihren Landsleuten beim Erinnern zu, läßt sich von diesen teils skurrilen Fluchten aus der bleiernen rumänischen Wirklichkeit erzählen – und füllt die Lücken ihrer Kriminalgeschichte um fremde Bilder mit: eigenen Bildern. Daß man denen nicht immer über den Weg traut, liegt auch daran, daß sie bei ihren Re-Inszenierungen auf die Schmiermittel des großen Illusionskinos zurückgreift.
Es gibt also Musik, wo die tagespolitischen und ganz praktischen Zusammenhänge vage bleiben, es gibt atmosphärisches Halbdunkel, wo sich Abläufe aus Mangel an authentischen Dokumenten (woher auch?) nicht rekonstruieren lassen. Trotz solcher Unzulässigkeiten ist aber der enorme anekdotische Sexappeal ihres Erklärungsversuchs für das Scheitern einer Ideologie schlichtweg nicht zu bestreiten.
Originaltitel: CHUCK NORRIS VS COMMUNISM
D/GB/Rumänien 2015, 80 min
Verleih: Rise And Shine Cinema
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Ilinca Calugareanu
Drehbuch: Ilinca Calugareanu
Kinostart: 03.12.15
[ Sylvia Görke ]