Originaltitel: CIDADE DE DEUS

Brasilien 2002, 128 min
FSK 16
Verleih: Constantin

Genre: Gangster, Erwachsenwerden, Drama

Darsteller: Alexandre Rodrigues, Leandro Firmino da Hora, Phelipe Haagensen

Regie: Fernando Meirelles, Katia Lund

Kinostart: 08.05.03

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City Of God

Krieg der Knirpse - virtuose Berichterstattung von den Fronten eines Slums

Eine Barackenkolonie am Rande von Rio de Janeiro. Seit Ende der Sechziger, als man dieses städtebauliche Armutszeugnis den Mittellosen der Metropole zur Verfügung stellte, hat sich in der Cidade De Deus kein Gott mehr blicken lassen. Vielleicht wollte er kommen und ist angeschossen worden, vielleicht wurde sein Auto geklaut, oder jemand hat ihm unsauberen Stoff angedreht?

Buscapé hat für solche Überlegungen keine Zeit. Schon wieder ist er zwischen die Fronten geraten: Lockes Bande, korrupte Polizei, alle bis an die Zähne bewaffnet. Nachdem die Kamera den Bedrängten von allen Seiten umkreist hat, erstarrt die Szenerie: Stop! Buscapé denkt sich zurück in die Kindheit, als Locke sich noch Löckchen nannte, als sein Bruder noch lebte, durchschreitet den mehr als zwanzigjährigen Irrsinn aus Drogen, Waffen und Bandenkriegen von Anfang bis Ende. Sein Leben rauscht an ihm und uns wie an Ertrinkenden vorbei: schüchtern und golden für die Liebe, ruppig und fahl für die allgegenwärtigen Gewalteruptionen, mit willkürlichen Spulbewegungen durch Zeit und Perspektiven, um halbwüchsige Mörder, Drogenhändler und andere gute Bekannte näher vorzustellen. Buscapé kann im Chaos seine Unschuld bewahren und schließlich einen Fotoapparat ergattern. Als Erzähler diktiert er den Ton, als Kriegsfotograf die Bilder.

Nach dem autobiographischen Roman von Paolo Lins entstand ein dichter, autarker Film-Kosmos, der mit seinen Protagonisten wächst - schillernd in seiner Vielschichtigkeit, gnadenlos in seiner Brutalität. Wo sich Knirpse in Badehosen hinrichten und ganze Stadtteile mit ihren Knarren kontrollieren, sind Blut und Dreck einfach nicht abzuschütteln. Schwer wäre dieser grausame Realismus zu ertragen, hätten Fernando Meirelles und Co-Regisseurin Lund nicht auch die Freundschaften, die kindlichen Rivalitäten und pubertären Unsicherheiten, die Komik von Fliegengewichten im Größenwahn in ihr vieldimensionales Personengeflecht eingewoben. Namen werden Gesichter, Charaktere, Menschen, riechbar und fühlbar durch oft direkt von Favela-Straßen weg engagierte Darsteller, deren Sprache ganz und gar in ihre Münder paßt.

"Gangster geben nie auf. Sie ziehen nur mal kurz den Kopf ein." Der Wahlspruch dieser Jungs läßt ahnen, was die Gangsta-Pose vor ihrer popkulturellen Auswertung einmal war: Selbstaufwertung, zivile Aufrüstung, grimmiger Widerspruch. Meirelles hat seine Vision einer von Gott verlassenen Jugend den exzentrischen Bilder-Rhythmen und narrativen Purzelbäumen des MTV-Zeitalters nachkomponiert und trifft das wackelige Lebensgefühl seiner Desperados irgendwo zwischen Gummibärchen, Terrorist und Popstar, zwischen cool und erfroren, lässig und losgelassen. Diese neue verlorene Generation schmückt sich mit anderen Statussymbolen - Turnschuhe statt Gamaschen, gefärbte Haare statt gegelter Scheitel. Das gute alte Gangsterepos ist in der Post-Capone-Ära angekommen - mit den alten Eitelkeiten, aber bitter verjüngt und beschleunigt.

Scorsese, Altman oder Stone wurden samt ihrer Meisterwerke zum Vergleich bemüht, um dieses gewaltige und gewaltvolle Gangster-Drama, das in seiner Komplexität so einfach, in seiner verschwenderischen Fülle so präzise, in seinen Wertungen so enthaltsam ist, in der Filmgeschichte anzuleinen. Doch im Kinosaal gilt es, die Zügellosigkeit zu genießen: Diese Stadt überleben - mit Leib und Seele!

[ Sylvia Görke ]