Originaltitel: COCO

USA 2017, 109 min
FSK 0
Verleih: Disney

Genre: Computeranimation, Kinderfilm, Abenteuer

Stab:
Regie: Lee Unkrich, Adrian Molina
Stimmen: Heino Ferch, Claudio Pizarro

Kinostart: 30.11.17

34 Bewertungen

Coco

Meine tollen toten Verwandten

WALL-E schenkte uns die stumme Liebesgeschichte zweier Blechkameraden, RATATOUILLE verbesserte fingerschnippend das Image eines unbeliebten Tieres extrem, OBEN erzählte in kurzen Prologminuten eine komplette, herzzerreißende Biographie. Pixar halt. Und Tatsache: Man fand dort nach – Jammern auf höchstem Niveau! – etwas weniger Brillantem à la ALLES STEHT KOPF oder CARS 3 zu solcher Form zurück.

Was anfangs vielleicht nicht unbedingt so scheint, weil die handlungsauslösende Idee eher bekannte Sujet-Felder beackert: Miguel, zwölf Jahre alt, fühlt sich verflucht, aus längst vergangenen Gründen scheut seine Familie Musik, die resolut-rustikale Oma nutzt gar den Hauslatsch zur Mariachi-Jagd. Ein echtes Problem für den Jungen, dessen Idol Ernesto de la Cruz heißt, ein auf – pardon – schräge Weise verstorbener, legendärer Schnulzensänger, dem es Ehre zu machen gilt. Woraus drei Schlüsse resultieren: Wir könnten in Mexiko sein. Miguel steht zwischen den Fronten. Und dies wird wohl eine Folge-Deinem-Traum-Story mit langfristig vorhersehbarem Ausgang.

Absolut korrekt, aber neben dem geklärten „Wo?“ und „Was?“ gewinnt das „Wie?“ jetzt an entscheidender Bedeutung. Wofür zunächst am Día de los Muertos, dem Tag der Toten, eben jene ihre geliebten Menschen besuchen dürfen, falls diese entsprechende Vorkehrungen trafen. Bei Miguel funktioniert’s indes umgekehrt, er findet sich plötzlich auf der „anderen Seite“ und geht, vom neuen Kumpel Hector unterstützt, auf die Suche, um zu erfahren, woher die innerfamiliäre Klangphobie rührt – und sie zu beenden.

Nun sitzen bei Pixar ja glücklicherweise ziemliche Kindsköpfe am Rechner, denen die Protagonisten – jede Menge Skelette – allerhand Möglichkeiten geben, mit abgerissenen oder sonstig zweckentfremdeten Knochen Schabernack zu treiben, das empfindliche Elternteil sei ergo, im Gegensatz zum begeisterten Kind, vorgewarnt. Nachdem das für keifbereite Übermütter am Rande erwähnt wurde, endlich rein ins Vergnügen und vorerst die Augen übergehen lassen: Erwartungsgemäß gibt’s hier animationstechnisch exakt das sonst fehlende Detail, die unaufdringliche Pracht, die beiläufige Genialität. Welche perfekt zum Humorniveau paßt, unverändert hat es Pixar nicht nötig, einen Gag prominent ins verbale Rampenlicht zu schubsen, drauf zu deuten, ihn eventuell endlos durchzukauen. Komisches geschieht flüchtig, manches verpufft daher unbemerkt, aber was soll’s, die Zweitsichtung erlaubt Neuentdeckungen. Stark präsente Ausnahme: der bereits aus dem Trailer bekannte Dante, ein leicht trotteliger, doch stets bemühter Xoloitzcuintle, dessen unkoordinierte Riesenzunge und typisch hündische Freßsucht addiert oft Chaos ergeben.

Zur Großartigkeit verhelfen COCO trotzdem weder Schmunzeln noch Tier, auch die zunehmend komplexere Geschichte nicht, sondern fein abgestimmte Emotionen. Daß beispielsweise Hector einer endgültig verschwindenden – da völlig vergessenen – Seele ein anzüglich-ironisches Abschiedslied singt, verstärkt die Wirkung der Szene, sukzessive zusammengepuzzelte Geheimnissteinchen thematisieren Tiefes à la Schuld oder Vergebung. Und wenn die titelgebende Coco, Miguels dahindämmernde Urgroßmutter, final ihren Schlüsselauftritt bekommt, bisher vermauerte Gefühlsschleusen öffnet, ist das schamlos schön und ebenso memorabel wie eine kaum zur Verwendung im realen Leben empfohlene Zuneigungsbekundung: „Ich hoffe, daß Du bald stirbst!“

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...