Originaltitel: ZIMNA WOJNA
Polen/GB/F 2018, 89 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama, Liebe
Darsteller: Joanna Kulig, Tomasz Kot, Borys Szyc, Agata Kulesza, Cédric Kahn, Jeanne Balibar
Regie: Pawel Pawlikowski
Kinostart: 22.11.18
Er hätte einfach keine passende Farbe für die Zeit gefunden, in der sein Film spielt, sagt Regisseur Pawel Pawlikowski im Interview. Deshalb sei COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE in Schwarz und Weiß. Zudem war das „Retro-Format“ 1:1,33 wieder seine erste Wahl. Freilich, es sind auch künstlerische Statements. Wiederholungen aber sind Pawlowski, der aus persönlichen und grundsätzlichen Gründen kein Fließbandregisseur ist, zuwider. Trotzdem kommen sofort Erinnerungen an sein großartiges OSCAR-Drama IDA hoch. Für die extrem bewegende Blende ins Leben einer angehenden Nonne war der seit 1977 in London lebende Pawlikowski 2013 in seine polnische Heimat zurückgekehrt. Und ist dort geblieben.
Im schwarz-weißen Fast-Quadrat drängt nun eine 15 Jahre raffende Lebens- und Zeitgeschichte von der Leinwand. Bitte genau lesen: drängen, nicht aufdrängen! Letzteres hatten wir gerade mit mar(c)kigem Donner als über dreistündiges Historienpotpourri in WERK OHNE AUTOR. Pawlowski braucht keine 90 Minuten und geht wesentlich subtiler vor, speziell in der Beschreibung von Erinnerungen an gesellschaftlich-politische Atmosphären und ausweglose Lebenslagen, die dem Individuum dermaßen auf der Seele drücken, daß es Entscheidungen trifft, die oft jeder Logik entbehren und dennoch nachvollziehbar sind. Es sind Zeichen eines ausgeprägten Stils.
In IDA waren es die frühen polnischen 60er, COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE geht noch einmal ein Stück zurück in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Land liegt verwundet da, die Menschen versuchen sich an so etwas wie Normalität, das System beginnt, die Nivellierung der Meinungen voranzutreiben. Gern benutzt es dafür die in Polen ausgeprägte Liedkultur ländlicher Regionen. Wiktor ist Komponist aus der Stadt, der – ähnlich wie Vater und Sohn John und Alan Lomax in den USA – Feldforschungen zur Folklore betreibt. Er sucht urbane Klänge und gleichzeitig neue Stimmen für ein Musik- und Tanzensemble. Wiktor trifft auf Zula, eine junge Frau, die weder auf den Mund gefallen noch unbegabt ist, so keß wie unbedarft, kein weißes Blatt. Schön ist sie auch. In Wiktor vermischen sich Vernunft und Begehren. Eine vorrangig tückische Kombination, wie sich herausstellen wird, Garant für ein Hoch und Runter der ausgeprägten Art.
COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE beginnt hier schon sanft zu fließen. Zwei Liebende markieren die Ufer. Zwei, die sich haben wollen und loslassen müssen, die sich nicht im Auge behalten und trotzdem sehen, die sich trennen und nicht voneinander loskommen, zwei Menschen, die kämpfen und sich im Kampf verzehren. Als die kraftvollen Lieder des Ensembles Stalin huldigen sollen, als Wiktor einen Auftritt in Ostberlin zur Flucht in den Westen nutzt, als Zula zurückbleibt und es erst in Jugoslawien, dann in Paris ein Wiedersehen gibt, als aus Folk langsam Modern Jazz wird und die beiden auch in intimer Gemeinsamkeit zu improvisieren beginnen und auf einen Ton zu kommen versuchen.
Die außergewöhnliche Form gewinnt in COLD WAR – DER BREITENGRAD DER LIEBE nicht über den Inhalt. Pawlikowski mag den Anriß von Themen und Ebenen, die den Zuschauer wachhalten. Er vertraut dem Kinopublikum, setzt Leerstellen, die es auszufüllen gilt. Manchmal öffnet ein einzelner Dialogsatz ganze Welten, Rückblenden als Versicherungspolicen braucht dieser Film nicht, obwohl er stattlich Großes wie Freiheit und Befreiung, Mißtrauen und Ermattung, die Unmöglichkeit von Möglichkeiten oder die Katastrophe in der Euphorie verhandelt.
Dabei hält Pawlowski sein Liebespaar auf gewöhnungsbedürftiger Distanz. Angelegt im Charakter, vor allem aber auch im eher defensiven Spiel von Joanna Kulig und Tomasz Kot, schmeißen sich Wiktor und Zula nicht an unseren Hals, auf daß wir sie sofort mögen und bedingungslos dazu. Es ist ein Wagnis, fürwahr. Was hilft, ist das ästhetische Konzept mit klar komponierten, artifiziellen Bildern und allegorischen Momenten. Und natürlich die Musik als Akteur, nicht akustische Kulisse.
[ Andreas Körner ]