Es gab mal eine Zeit, in der Computer noch nicht das soziale Miteinander bestimmten. Sogenannte soziale Netzwerke, Dating-Websites, Twitter, ja das gesamte Internet, alles noch Zukunftsmusik. Und doch gab es sie damals schon: die Computerfreaks. Menschen, die besessen waren von den Maschinen. Doch wie alle Pioniere hatten es diese Vorreiter, die Wegbereiter des Tech-Booms der 90er, die zukünftigen Jobs und Zuckerbergs, alles andere als einfach. Sie wurden gesellschaftlich ausgegrenzt, als Nerds, Geeks oder hierzulande als Computerfreaks und Stubenhocker verunglimpft. Wie diese Außenseiter damals ihre Wochenenden verbrachten, das zeigt auf einzigartige Weise Andrew Bujalskis neuer Film, der eine Gruppe dieser sonderbaren Spezies zu einem Computerschach-Wettbewerb begleitet.
Anfang der 80er irgendwo in den Vereinigten Staaten. In einem drittklassigen Hotel geht eine Gruppe hornbebrillter Sonderlinge einer für sie weltbewegenden Frage auf den Grund: Wann wird der erste Computer in der Lage sein, einen Schachmeister zu besiegen? Schon bald folgt der theoretischen Diskussion das Turnier der eigens für den Wettkampf modulierten Schachcomputer, deren monströse Gerätschaften in einem Konferenzraum zusammengeschoben werden. Während das Favoritenteam, das sich im Vorjahr im Finale dem menschlichen Meister gegenübersah, früh ins Hintertreffen gerät, weil ihr Computer plötzlich ein Eigenleben entwickelt, geraten andere Turnierteilnehmer zunehmend mit einer Paartherapie-Gruppe aneinander, die den Konferenzraum für ihre schrägen Selbsterfahrungsübungen nutzt. So gibt’s parallel zum Duell Mensch vs. Maschine einen rhetorischen Zweikampf zwischen IT-Nerds und Esoterikern.
Andrew Bujalski hat mit COMPUTER CHESS einen Film geschaffen, der sich wie seine Subjekte gern als Sonderling outet. Großteils in schwarzweißer Videooptik gehalten, traditionelle dramatische Erzählmuster bewußt unterlaufend, dazu von Charakteren bevölkert, die meist so unnahbar bleiben wie die riesigen dauersurrenden Rechner, welche den Lebensmittelpunkt dieses verkopften Menschenschlags bilden. Ein Nerd gewordener Film, den nicht jeder mögen wird. Aber jene, die über seine oberflächlich unattraktive, sperrige Aufmachung hinwegzusehen vermögen und in seine einmalige künstliche Seele zu schauen schaffen, werden mit einem einzigartigen Kinoerlebnis belohnt: einer herrlich unzeitgemäßen, skurrilen Zeitreise in jene unschuldigen Tage, bevor die Nerds und ihre Kreationen künstlicher Intelligenz die Welt eroberten.
Originaltitel: COMPUTER CHESS
USA 2013, 92 min
FSK 0
Verleih: REM
Genre: Schräg, Mockumentary
Darsteller: Patrick Riester, Myles Paige, James Curry
Stab:
Regie: Andrew Bujalski
Drehbuch: Andrew Bujalski
Kinostart: 07.11.13
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...