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Congo River

Realität und Mythos, Vergangenheit und Gegenwart

Mehr als 4000 Kilometer mißt diese filmische Reise über Ländergrenzen hinweg, von der Mündung bis zur Quelle des Kongo. Konsequent folgt die Dramaturgie dem Flußlauf und begibt sich damit gleichsam auf die Spur Henry Morton Stanleys, der 1876/77 als erster Europäer dieses Gebiet erforschte. Auch das Tempo der Reise bestimmt der Fluß - damals wie heute.

Über weite Strecken ist nur der Wasserweg möglich, der Kongo die einzige Verkehrsader durch unwegsames Land, tropische Regenwälder und ausgedehnte Sümpfe. Schiffbrüche sind hier, wo staatliche Verkehrsunternehmen nicht existieren und aus der Not gewinnbringende Geschäfte gemacht werden, keine Seltenheit. Im Film steht ein solches Unglück nur am Anfang einer Reihe menschlicher Tragödien - der Schiffbruch wird so in einer Lesart zur Metapher. Je weiter die Reise führt, je näher die Quelle, um so tiefer dringt man ein in Geschichte und Mythen des Kongo, um so stärker wird auch die Ahnung vom Ausmaß der Katastrophe, die es dort zu bewältigen gilt.

Dabei ist der Film zunächst wie ein Tagebuch, angefüllt mit Bildern, die Momentaufnahmen sind: Das Navigieren der rostigen Schlepper auf dem Fluß, das Leben der Reisenden auf den angehängten Pontons, die Tsetse-Fliege, singende Soldaten in Einbäumen, Frauen und Mädchen in einem Hospital, das Rot der Abenddämmerung, zairische Meßriten, Wetterumbrüche, der rudimentäre Palast des Ex-Diktators Mobutu - ein Ort, den sich die Natur zurückerobert ...

Zwischen die einzelnen Passagen seiner Reise fügt Regisseur Thierry Michel historisches Filmmaterial aus den Archiven der früheren Kolonialmächte. Das Erbe der Besatzer zeigt er im Jetzt, so in der kaum zehn Jahre alten Demokratischen Republik Kongo, einem zerfallenen, von immer neuen Bürgerkriegen heimgesuchten Staat. Ganz allmählich und gegenseitig erklären sich die verschiedenen Sequenzen, wobei Off-Kommentare, Schnitt und Musik Hilfsmittel sind, der Fluß die Verbindung. Das so entstehende Gesamtbild des Kongo, schonungslos und dabei nicht sentimental, birgt auch Szenen des Widerstandes und des Zukunftsglaubens. Es zeugt damit auch vom Willen der Menschen, den Schiffbrüchen zu trotzen.

Originaltitel: CONGO RIVER - BEYOND DARKNESS

Belgien/F 2006, 116 min
Verleih: Kinemathek

Genre: Dokumentation

Regie: Thierry Michel

Kinostart: 01.03.07

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.