Immer nur Fisch und nie Blumen bringt Slimane seinen Frauen nach Hause. Diesmal sind es wunderschöne Meerbarben - ein sturer, eigensinniger Fisch, der genügsam lebt und schwer zu greifen ist. So wie Slimane, ein alternder Werftarbeiter in der südfranzösischen Hafenstadt Sète. Zu ineffizient sei er geworden für die neue Zeit, bescheinigt ihm sein Arbeitgeber. Dabei ist es seine Generation von Einwanderern, die mit Beharrlichkeit über Jahre versuchte, ihren Kindern etwas zu hinterlassen. Und Slimane hat eine große Familie: seine Exfrau Souad und sechs Kinder nebst Enkel, dazu Latifa, seine Freundin mit ihrer Tochter Rym.
Abdellatif Kechiches liebevolle Beobachtungen führen uns langsam in die verzweigten Familienstrukturen mit all ihren emotionalen Verstrickungen ein. Er setzt mit seinem Gespür für die dramatische Entwicklung des scheinbar Bedeutungslosen nicht nur seinem eigenen Vater, der ebenfalls als Einwanderer aus Tunesien nach Frankreich kam, sondern der Familie an sich ein anrührendes Denkmal. Denn die Nebenschauplätze sind es, die am besten zeigen, was man Arabisch als "Eschra" bezeichnet: die Gewohnheit, die Freundschaft - ein noch stärkeres Gefühl als nur Liebe. Immer wieder kehrt die Handlung zum gemeinsamen Essen und Kochen zurück, als unabdingbares Herzstück der Kommunikation und Verbindung des Alltags.
So lernt man nach und nach Slimanes Leben kennen, ohne daß dieser introvertierte Mann viel spricht. Vielmehr sieht man in seinen Augen, dem schönen, faltigen Gesicht, in der Art, wie er sich bewegt, und wie er schweigt, all seine Traurigkeit. Er wirkt wie abgeschnitten von der geschäftigen Welt, die hauptsächlich von den starken Frauen in seinem Leben bestimmt wird. Die wehren sich, schreien, streiten und lachen. Seine Stieftochter Rym ist es schließlich, die Slimane hilft, sich seinen letzten Traum zu erfüllen. Der Traum von der Abfindung, die ihm die Werft zahlte, von einem alten Fischkutter, den er in ein Restaurant umbauen will. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Um die Bank, das Gesundheitsamt und die Hafenleitung doch noch auf seine Seite zu bekommen, plant Slimane ein Fest, auf das er alle wichtigen Leute einlädt.
Der Abend gerät zum Krimi und bildet den furiosen Abschluss für Kechiches episches Meisterwerk, das sich genauso viel Zeit beim Erzählen läßt, wie es braucht, ein herrliches Couscous für mindestens 100 Gäste zu bereiten.
Originaltitel: LA GRAINE ET LE MULET
F 2007, 151 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama
Darsteller: Habib Boufares, Hafsia Herzi, Faridah Benkhetache, Bouraouia Marzouk
Regie: Abdellatif Kechiche
Kinostart: 28.08.08
[ Susanne Schulz ]