Eine gewisse Art des Gothic Styles ist nie wirklich in Mode gekommen, sondern befindet sich immer schon in der fragwürdigen Geschmacks-ecke, in die schwarze Plastikrosen, tropfende Kerzen in Billigprunkleuchtern und mystische Fantasy-Landschaften à la „Bravo“-Posterromantik gehören. Die gesamte Palette fährt die Filmemacherin Julia Ostertag in dieser abgründigen Geschichte auf, die sich um die blutjunge Johanna rankt.
Die angehende Friseurin verliert ihre Ausbildungsstelle und alsbald auch jedweden Boden unter den Füßen, hinfort gerissen von Gevatter Tod persönlich. Der große Unbekannte ist ein Dandy und softer Gentleman, der Johanna in die Katakomben ihrer sexuellen Begehrlichkeiten entführt. Sie trifft ihre Meisterin und die gesamte Szene, die sich je nach Laune in Latex, Leder, mittelalterromantisch, samtgewandet oder mit Tiermasken verkleidet tummelt. Es folgt eine transformative Heldinnenreise, die, begleitet von einschlägiger düsterer Musik, Initiationsriten, Opferritualen und sexuellen Praktiken, in der Auferstehung Johannas als neue Meisterin endet.Die alte geht ins Wasser, der Liebhaber, der stark an Kurgan, den letzten Überlebenden der dunklen Macht in HIGHLANDER, erinnert, läßt sich lustvoll zu Tode quälen.
In Schwarz-Weiß-Ästhetik wird zwischendrin über Friedhöfe gewandelt und die Todessehnsucht bildsprachlich zelebriert. Die Abwendung von der Welt, in der man nicht dazugehören kann, gefeiert mit okkulter Opulenz. Oder eben mit fast unerträglichem Kitsch – das ist Auslegungssache. Sicher wird das Werk seine Liebhaber finden, und besonders die schwarzen Prinzen und Prinzessinnen machen sich ja auf dem roten Samt antiker Kinosessel hervorragend. Auch kann man es mutig finden, daß Ostertag die Schmerzgrenze hoch ansetzt und eine lange Performance einbaut, in der sich Haken durch Menschenfleisch bohren.
Trotzdem bereiten die schwülstigen und/oder schlecht wiedergegebenen Dialoge Normalsterblichen ebenso Pein wie die Rasierklinge, die einen Oberschenkel aufritzt. Auch fehlt es Nichteingeweihten an Handlung. Zwar kann man erahnen, daß die Hinwendung zu dunklen Mächten, das innewohnende Sehnen nach Zugehörigkeit und die Verweigerung, das Leben lebenswert zu finden, an sich dramatische Tiefen bergen, jedoch reicht dies nicht aus zu fesseln. Egal, wieviele Fesselspielchen ansonsten gezeigt werden.
D 2016, 89 min
Verleih: Eigenverleih
Genre: Experimentalfilm, Drama, Fantasy
Darsteller: Angela Maria Romacker, Namjira As-Sefid
Regie: Julia Ostertag
Kinostart: 01.06.17
[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...