Regisseur Hubert Sauper und sein Begleiter Sandor Rieder haben nicht halt gemacht, jahrelang recherchiert und für diesen Film eingesessen. Das Ergebnis ist eine schonungslose Dokumentation, nicht nur Darwins, sondern unser aller Alptraum: Am Anfang war ein kleines wissenschaftliches Experiment. In den 60ern wurde der Nil-Barsch, ein gefräßiger Räuber, im ostafrikanischen Victoria-See eingesetzt. Inzwischen ist vom Bestand der einheimischen Fischarten nahezu nichts geblieben, und zwei Millionen Weiße essen täglich 500 Tonnen Victoria-Barsch. Sauper hat sich dorthin begeben, wo der Siegeszug des Filets seinen Ursprung hat.
DARWINS ALPTRAUM beginnt auf einer staubigen Landepiste in Tansania, in einem Kontrollturm, wo es kein Funkgerät gibt, wohl aber eine Lampe mit grünem und rotem Licht - Landeerlaubnis, Landeverbot. Jumbos fliegen ein, laden Fisch und heben wieder ab. Was aber bleibt? Saupers Erkundungen im Umfeld des vermeintlichen Fisch-Paradieses sind nüchtern und präzise. Er interviewt Piloten, Prostituierte und Straßenkinder, Pioniere des "new business" und Fischer in den Arbeitskolonien. Er trifft auf Abgeordnete der EU, filmt die Teilnehmer einer Ökologie-Konferenz und spricht mit Frauen, die aus Abfällen Lebensmittel machen. Mittels der Interviews und eindringlicher Bilder gelingt Sauper die unfrisierte Darstellung der Einseitigkeit des Profits wie auch der Negierung der Konsequenzen durch die EU und afrikanische Regierungen. Die Gliederung des Films in Kapitel strukturiert das Aufzeigen der Wechselwirkungen von globaler Ökonomie. Sauper setzt in den Szenen mehrere Ebenen in Beziehung und zeigt vermeintlich Unvereinbares. Wo der Zuschauer den Begegnungen und dem gesprochenen Wort fliehen will, zwingen die Bilder: der Blick des Messer wetzenden Fabrikarbeiters, zwischen weißer Haube und Mundschutz, der Griff in die leeren Augenhöhlen des Fisches, Werbeschilder - "Life tastes good - Coca Cola", das Lächeln des Nachtwächters, der vom Krieg spricht.
Daß Sauper nicht halt gemacht hat, zeigt sich endlich in der Aussage eines russischen Piloten: der schockierenden Bestätigung, daß jeder Verzicht auf Profit undenkbar ist. Für den Zuschauer - gleichsam Konsument und Protagonist - bleibt einmal mehr zu realisieren, was auf einem Fotokalender im Büro des Fischfabrikanten zur zufällig-zynischen Offenbarung wird: You’re part of a big system.
Originaltitel: DARWIN’S NIGHTMARE
Österreich/F/Belgien 2004, 105 min
Verleih: Arsenal
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Hubert Sauper
Kamera: Hubert Sauper
Kinostart: 17.03.05
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.