Originaltitel: DORIAN GRAY
GB 2009, 118 min
FSK 16
Verleih: Concorde
Genre: Literaturverfilmung, Drama, Schwul-Lesbisch
Darsteller: Ben Barnes, Colin Firth, Ben Chaplin, Rebecca Hall
Regie: Oliver Parker
Kinostart: 15.04.10
Daß sich der ausgewiesene Oscar-Wilde-Connaisseur Oliver Parker eines Tages der einzigen Novelle Wildes annehmen würde, war so klar wie die körperliche Sehnsucht römisch-katholischer Geistlicher zum jungen Blute. Die Frage war, ob es ihm gelingen würde, zum einen dieses zeitlos faszinierende Gothic-Drama in die Sehgewohnheiten von heute zu assimilieren, und zum anderen das trashige Fahrwasser der Verfilmung von 1969 durch den Italiener Massimo Dallamano zu umschiffen. Dallamano scherte sich einst wenig um die spooky-schimmernde Vorlage und machte vielmehr ein ziemlich billiges, wenn auch nicht gänzlich reizloses Sex’n’Gore-Filmchen mit einem kalkuliert besetzten Helmut Berger daraus. Da war die Adaption von Albert Lewin aus dem Jahre 1945 schon stimmiger. Dazwischen liegen einige jämmerliche TV-Versuche, und nun kommt dieses Werk, welches der über 100 Jahre alten Vorlage – Verzeihung, Wortspiel! – tatsächlich Alterslosigkeit attestiert und ihr quasi neues Leben einhaucht.
Das liegt vor allem an Parkers Akribie, seinem Willen zur Perfektion, denn er ließ sehr beeindruckend das London zum fin de siécle auferstehen – in blaugrauen Bildern, im beeindruckenden Kontrast von morbidem Reiche-Leute-Schick in den bourgeoisen Ställen der damaligen Zeit und den verrauchten Kneipen- und matschigen Gossenbildern mit Ratten, Huren und Raufbolden. Mittendrin nun der junge Schnösel Dorian, mit milchzarter Haut und in herziger Unschuld, der mit knapp 20 Jahren noch immer wie ein zu groß geratenes Kind wirkt und in dieser Unversehrtheit alle in seinen Bann zieht. Auch den begabten Porträtmaler Basil, der sich in den Jungen verliebt. Den Weg ins noch alles berechnende und sündhafte Leben aber zeigt ihm Lord Henry Wotton. Dorian wird also sehr schnell erwachsen, wechselnde Frauenzimmer und ausufernder Gin-Genuß tun ein Übriges. Doch als Basil ein von allen bestauntes Bild Dorians fertigt, verliert sich der Junge vollends und auf der Stelle – an sein naturalistisches Konterfei, seinen aufplatzenden Narzißmus und seine gut kaschierte Angst. Angst hat er zum Beispiel davor, alt zu werden. Auftakt zu einem eher beiläufig eingegangenen Bündnis faustscher Couleur, dessen Fortlauf nun als gelesen und bekannt vorausgesetzt wird.
Was nun genau macht Parker aus dieser Moritat der Eitelkeit? Einen richtigen Kinofilm mit eben dieser bis aufs letzte Detail perfekten Ausstattung, mit pointierten – klar, denn von Wilde geschriebenen – Dialogen, mit einer adäquaten Besetzung und einer feinjustierten Neuausrichtung der Figur Dorian Grays. Rein optisch geht Parker mit Ben Barnes zwar wenig Kompromisse ein, der Junge sieht – frisurentechnisch zwar eher fluffig-brünett als blondgelockt – aus wie ein eitles Kind jener Zeit, aber Parker nutzt die androgyne Schablone Dorian Grays vortrefflich, um dessen Ambivalenz in das heutige Verständnis von Metrosexualität zu übertragen. Und er reitet nicht so forsch durch die Dekadenz wie einst Dallamano, was das gedrosselte Tempo im ersten Teil des Films begründet, die Figur aber greifbarer macht. Dorian zweifelt auch, er leidet, was sich in gruseligen Rückblenden zu Kindheitsträumen oder in seiner Reaktion nach dem Tod der zu trauriger Berühmtheit gelangten Romanfigur Sybil zeigt. Und dafür ist Barnes tatsächlich der richtige Mann. Ihm nimmt man einfach ab, daß er – zumindest anfangs – tatsächlich an Treue und andere Werte glaubte. Was ein Kerl vom Kaliber wie Wotton nonchalant wegfegt: „Treue ist ein höflicheres Wort für Feigheit.“ Und wer will schon feige sein?
Es sind immer wieder die Brüche in der Figur, wodurch Parker der subtilen Vorlage Oscar Wildes gerecht wird, denn der Knebelei dieses teuflischen Paktes bewußt und zunehmend ernüchtert, fleht Dorian den Betrachter an, daß er doch wieder gut, neu, sauber sein möchte. Schlechtes Timing, wie wir wissen ...
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.